München – Bandscheibenvorfall, Hexenschuss oder eingeklemmter Ischiasnerv – von diesen Rückenleiden haben die meisten Menschen schon mal etwas gehört. Aber mit dem Begriff Spinalkanalstenose können die wenigsten etwas anfangen. Dabei handelt es sich bei der Einengung des Wirbelsäulenkanals um eine Volkskrankheit – insbesondere bei älteren Menschen. Experten-Schätzungen zufolge hat etwa jeder Fünfte über 60 Jahren mit dem Problem zu kämpfen.
Zu den Symptomen gehören neben Rückenschmerzen meist auch Schmerzen, Kribbeln und ein Taubheitsgefühl in den Beinen. Stehen und gehen fällt den Patienten immer schwerer. Oft haben sie – im wahrsten Sinne des Wortes – einen langen Leidensweg und einen Ärzte-Marathon hinter sich. Gerade Neurochirurgen raten bei solchen Krankengeschichten häufig zu einer Versteifungs-Operation. Dabei werden instabile Anteile der Wirbelsäule mit einen System aus Stäben und Schrauben stabilisiert. Doch dieser große Eingriff hat auch Nachteile. So verliert die Wirbelsäule an Beweglichkeit, und die Alltagsbelastungen werden auf die angrenzenden Bereiche der Wirbelsäule verlagert. Was viele Patienten nicht wissen: „Bei einer Spinalkanalstenose lässt sich in vielen Fällen eine Versteifungs-Operation vermeiden. Es stehen Behandlungsmethoden zur Verfügung, um den Betroffenen schonender, aber sehr effektiv zu helfen“, sagt Dr. Reinhard Schneiderhan. In unserer Zeitung erklärt der Münchner Wirbelsäulenspezialist die Alternativen und zwei Patientinnen berichten, wie sie davon profitieren.
„Ich konnte kaum mehr 50 Meter weit gehen“
Zwei Frauen, die gleichen Probleme: Die Schmerzen fraßen ihre Lebensqualität und Alltagstauglichkeit regelrecht auf. „Ich konnte kaum mehr 50 Meter gehen, das Aufstehen vom Sofa wurde zu einem Kraftakt, ich musste mich quasi irgendwie herunterrollen“, erzählt Monika Hosseini-Hausberger. Vier Bandscheibenvorfälle und Verwachsungen hatten ihren Wirbelkanal immer mehr eingeengt. Viermal landete sie deshalb bei einem Neurochirurgen unter dem Messer. Viermal ohne Erfolg. „Im Gegenteil, meine Beschwerden wurden immer schlimmer.“ Viele Arztbesuche, keine Lösung – die gelernte Malerin und Lackiererin war am Ende ihrer Kräfte. Ähnlich erging es auch Sabine Bertsch. Seit über 20 Jahren quälte sich die 64-jährige Geschäftsfrau mit ihrer Spinalkanalstenose herum, schleppte sich trotz starker Schmerzen täglich mehr schlecht als recht in ihr Kosmetik–institut. „Wenn man selbstständig ist, kann man sich nicht viele Krankheitstage leisten – und auch nicht die lange Ausfallzeit nach einer großen OP.“ Auch deshalb entschied sie sich gegen eine Versteifungs-OP an ihrer Wirbelsäule, die ihr von Ärzten empfohlen worden war.
Gleichzeitig wuchs jedoch auch ihre Verzweiflung, denn in den vergangenen Jahren nahmen ihre Beschwerden immer mehr zu. Zweimal kam sie mit dem Sanka notfallmäßig in die Klinik. „Um die Schmerzen irgendwie auszuhalten, schluckte ich sogar opiathaltige Tabletten. Ich wusste: Auf Dauer kann das keine Lösung sein.“ Deshalb reiste Sabine Bertsch aus Schwäbisch Hall nach dem Tipp einer Bekannten ins Wirbelsäulenzentrum nach Taufkirchen im Münchner Süden. In die Praxis von Dr. Reinhard Schneiderhan kommen Patienten aus ganz Deutschland, um sich eine Zweitmeinung zur Behandlung ihrer hartnäckigen Rückenprobleme einzuholen.
Der erfahrene Schmerztherapeut riet Sabine Bertsch zu einer Behandlung mit dem sogenannten Wirbelsäulen-Katheter – ein Verfahren, das er bereits seit Jahrzehnten einsetzt und weiterentwickelt hat. „Es kommt vor allem für Patienten mit sogenannten kombinierten Spinalkanalstenosen infrage. So nennt man Einengungen des Wirbelkanals durch Bandscheibengewebe und knöchernen Verschleiß. Es eignet sich zudem für Patienten, die bereits an der Wirbelsäule operiert worden sind und mit Schmerzen durch Narbengewebe zu kämpfen haben.“
Das Grundprinzip: Ein dünner Schlauch wird über eine natürliche Öffnung am Kreuzbein am unteren Rücken in den Spinalkanal eingeführt, der Patient schläft dabei in einer Dämmerschlafnarkose. Die beiden Vorteile dieser Methode: „Zum einen können wir störendes Bandscheiben-, Weichteil- und Narbengewebe, das auf die Nervenwurzel drückt, behutsam ablösen. Zum anderen leiten wir durch den Katheterschlauch einen Medikamenten-Cocktail exakt dorthin, wo der Schmerz entsteht. Die Lösung besteht aus Schmerzmitteln und einem zehnprozentigen Kochsalz-Enzym-Gemisch. Der wichtigste Effekt: Dem störenden Gewebe wird durch eine Art Transportprozess, der in der Fachsprache Osmose heißt, Flüssigkeit entzogen. Dadurch schrumpft es, der Druck auf die Nervenwurzel verschwindet dauerhaft.“
Den Nutzen des Katheters untermauert eine Langzeitstudie der Uni Kiel. „Dabei kristallisierte sich heraus, dass die Kathetertherapie bei chronischen Rückenschmerzen mit einer Nervenwurzelbeteiligung die größten Erfolgsaussichten hat – vor allen anderen Behandlungen wie konservativen Therapien oder offenen Operationen“, betont Dr. Schneiderhan. Für diese minimalinvasive Behandlung verbringt der Patient in der Regel zweieinhalb Tage im Krankenhaus. Sabine Bertsch lag im Helios Klinikum in Perlach. „Mir ging es sehr schnell besser. Als die Schmerzen nachließen, habe ich mit Rückenübungen begonnen, gehe inzwischen regelmäßig zum Osteopathen. Auch wenn nicht jeder Tag gleich ist: Insgesamt komme ich heute sehr gut klar. Besonders wichtig ist mir, dass ich keine opiathaltigen Schmerzmittel mehr brauche.“
Anders als Sabine Bertsch kam Monika Hosseini-Hausberger nicht um eine OP herum, allerdings war keine aufwendige Versteifung nötig. In einem ersten Schritt unterzog sich die 44-Jährige einer Epiduroskopie. Das ist eine Spiegelung des Wirbelsäulenkanals. Dabei entfernte Dr. Zainalabdin Hadi Narbengewebe. Der zweite Eingriff erfolgte minimalinvasiv – das bedeutet: mit kleinen Zugängen und filigranen Instrumenten. Dabei setzte der Neurochirurg des Taufkirchner Wirbelsäulenzentrums einen sogenannten Intraspine Spacer. Das ist eine Art Hightech-Puffer für den Rücken. „Wir verwenden statt der herkömmlichen Metallimplantate ein Implantat aus Silikon und Kunststoff“, erläutert Dr. Hadi.
Implantat aus Silikon dient als Stoßdämpfer
Der Eingriff dauert nur etwa eine halbe Stunde. Dabei geht es im Kern darum, das betroffene Segment aus zwei Wirbelkörpern und der Bandscheibe mit einem speziellen Instrument (Spreizer) zu dehnen und darin ein Implantat aus Silikon zu platzieren. Neurochirurg Hadi: „Es ist nicht starr, sondern gibt bei Belastung etwas nach, sodass es eine Stoßdämpferfunktion erfüllt. Dadurch werden die Wirbelgelenke und die Bandscheiben entlastet, und der Spinalkanal bleibt offen.“ Allerdings, so Hadi, sei der Intraspine Spacer nicht für alle Patienten mit einer Wirbelsäulenstenose geeignet: „Diese Methode ist nicht geeignet bei einer großen Instabilität in der Wirbelsäule oder bei Frakturen. In solchen Fällen würde das Silikon-Implantat keine ausreichende Stabilität garantieren. Hier wäre dann eine klassische Versteifungs-OP sinnvoll.“
Monika Hosseini-Hausberger verschaffte die minimalinvasive OP Linderung: „Seitdem geht es bergauf. Die ersten Monate nach dem Eingriff waren zwar zäh, ich brauchte Geduld, aber es ging letztlich stetig bergauf. Heute kann ich wieder walken und längere Spaziergänge machen. Einmal im Monat gehe ich zum Wandern. Das genieße ich sehr.“