München – Privatdozent Dr. Cornelius Schüle ist Oberarzt in der Depressionsstation C1 der Psychiatrischen Klinik der LMU München in der Nussbaumstraße. Er erklärt, woran man eine Depression erkennt und warum man sich Hilfe suchen sollte:
Einmal traurig oder erschöpft zu sein ist im Alltag unvermeidbar. Aber welche Symptome deuten auf eine Depression hin? Wann sollte ein Betroffener auf alle Fälle einen Arzt aufsuchen?
Die drei zentralen Symptome sind depressive Verstimmung, Antriebsminderung und Freudlosigkeit, die sich darin äußern kann, dass man keinen Spaß mehr hat an Hobbys oder anderen Dingen, die sonst Freude bereiten. Es können kognitive Symptome dazukommen, Schlafprobleme, Appetitlosigkeit, fehlende Libido oder auch das Gefühl, sich wertlos zu fühlen. Man sieht alles schlecht: die eigene Person, die Umwelt und die Zukunft. Außer den Symptomen ist die Zeitspanne wesentlich. Wenn mehrere dieser Symptome über mindestens zwei Wochen auftreten, sprechen wir von einer depressiven Episode. Dann sollte der Betroffene zum Arzt. Und er sollte auch zum Arzt, wenn der Leidensdruck hoch ist oder wenn das Leben privat oder beruflich nicht mehr funktioniert.
Wer ist der richtige Ansprechpartner?
Das ist in vielen Fällen der Hausarzt, wenn ein zeitnaher Termin bei einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie nicht möglich ist. Hausärzte machen eine hervorragende Arbeit. Sie können leichtere und mittelschwere Depressionen oft erfolgreich therapieren und werden ansonsten zum Facharzt überweisen, vor allem wenn Suizidgedanken oder sonstige schwerwiegende Probleme auftreten. Manchmal kann eine Depression auch ohne Medikamente mithilfe eines Psychologen oder Therapeuten behandelt werden. Bei einer schweren Depression sollte aber in jedem Fall medikamentös unterstützt werden.
Vor solchen Medikamenten haben viele Menschen Angst …
Ja, es gibt leider immer noch Klischees über Antidepressiva. Die zwei wichtigsten Dinge: Sie verändern nicht die Persönlichkeit und machen nicht süchtig. Antidepressiva sollen die Symptome verbessern und dem Patienten ermöglichen, mit all seinen Stärken und Schwächen gut leben zu können. Es dauert allerdings bis zu vier Wochen, bis sie voll wirken. Antidepressiva machen auch nicht abhängig – im Gegensatz zu Schlaf- und Beruhigungsmitteln. Allerdings kann es bei Beendigung der Behandlung Absetzeffekte geben, sodass Antidepressiva ausschleichend abgesetzt werden sollten.
Sollten Betroffene und ihre Familien über die Depression offen reden?
Das ist individuell zu entscheiden. Grundsätzlich ist es wichtig, dass in der Bevölkerung klar ist: Depression ist eine Krankheit, für die keiner etwas kann. Ob ein Betroffener darüber spricht, ist seine eigene freie Entscheidung. Ein offener Umgang kann hilfreich sein, auch gegenüber dem Arbeitgeber, aber immer ist das nicht so. Depression ist leider oft noch mit einer gewissen Stigmatisierung verbunden. Betroffene müssen ein Stück weit geschützt werden – auch das ist wichtig.
Depressionen scheinen mehr zu werden. Ist das wirklich so oder wird die Krankheit heute nur besser diagnostiziert?
Die verbesserte Diagnose spielt hier sicher eine Rolle. Früher gingen Betroffene zum Arzt, weil sie sich ausgelaugt fühlten und unspezifische Schmerzen hatten, das wurde vielleicht nicht als Depression erkannt. Vor 20 Jahren waren Depressionen sicher noch deutlich unterdiagnostiziert, was sich zumindest teilweise gebessert hat. Ich gehe nicht davon aus, dass das Risiko dafür ständig weiter ansteigt.
Was ist Ihnen wichtig in Zusammenhang mit Depression?
Mir ist wichtig, dass Betroffene wissen: Es gibt Hilfsmöglichkeiten, und niemand sollte davor zurückscheuen, sich diese Hilfe zu holen. Das gilt vor allem auch für Männer. Jeder sollte sich das wert sein. Eine erste Hilfe können sich Betroffene auch bei Notfalltelefonen holen.
Interview: Christine Merk