Wieder Radeln mit dem Kunstgelenk

von Redaktion

Orthopäde erklärt, welche Sportarten gut funktionieren – und welche eher nicht

VON BIRGIT MATEJKA

München – Sport tut Menschen mit einem künstlichen Gelenk sogar gut. Patient Jürgen Obersteiner ist dafür das beste Beispiel. Er wurde von Privatdozent Dr. Johannes Schauwecker vom Orthopädiezentrum München Ost (OZMO) operiert. Hier erklärt der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, welche Sportarten für Patienten mit Endoprothesen ideal sind – und wo Sie vorsichtig sein sollten.

Höhere Ansprüche

Die Ansprüche an ein neues Gelenk sind gestiegen: „Vor 20 Jahren noch wollten Patienten vor allem schmerzfrei sein. Wenn sie noch mit dem Dackel spazieren gehen konnten, war das Ziel schon erreicht. Heute fragen sie mich täglich, was sie nach der OP wieder machen dürfen.“, berichtet Dr. Johannes Schauwecker. Aus seiner Sicht spricht heute rein gar nichts mehr gegen Sport mit Gelenkersatz – solange er nach ärztlicher Empfehlung und in angemessener Intensität durchgeführt wird.

Die neuen Materialien

In verschiedenen Studien hat sich gezeigt, dass sportliche Aktivität grundsätzlich weder zu einer schnelleren Lockerung von Prothesen noch zu einem früheren Verschleiß führt. Diese Sorge ist also unbegründet. Die neuen Materialien zeichnen sich im Gegensatz zu früheren Zeiten durch extrem geringe Abrieb-Raten aus. Zudem stehen heute Operationsverfahren zur Verfügung, die es ermöglichen derartige Eingriffe so durchzuführen, dass die Muskeln rund um das Gelenk sowie Sehnen, Gefäße und Nerven geschont werden. Das verkürzt die Genesungszeit und die Betroffenen können früher in Alltag und Beruf zurückkehren. Auch die Rückkehr zum Sport ist – insbesondere bei zementfreien Implantaten – innerhalb von drei bis sechs Monaten nach der Operation wieder möglich.

Günstige Sportarten

Ärzte und Wissenschaftler sind sich einig, dass insbesondere Low-Impact-Sportarten mit geringer Belastung wie Nordic Walking, Fahrradfahren, Langlauf, Pilates, Schwimmen und Wassergymnastik für Menschen mit einem künstlichen Gelenk empfehlenswert sind. Denn sie üben eine geringe mechanische Belastung auf die Prothese aus. Selbst belastungsintensive Sportarten sind möglich: „Wir entscheiden gemeinsam, in welchem Umfang Patienten ihren Sport ausüben können.“ Voraussetzung ist, dass die Koordination der Bewegungen stimmt.

Golfen & Joggen

Es gibt Sportarten, bei denen die Ärzte zur Vorsicht raten. Joggen mit Knie- und Hüftprothesen ist solch ein Fall. „Studiendaten bringen aktuell keinen Nachweis für Defekte oder verstärkten Verschleiß. Ganz genau wissen wir das aber erst in 20 Jahren.“ Schauwecker und seine Kollegen würden Patienten mit Knieprothese nicht dazu raten, an einem Marathon teilzunehmen: „Aber wenn die Lebenszufriedenheit stark davon abhängt, ob man zweimal pro Woche joggen gehen kann, würde ich das auch nicht kategorisch ausschließen.“ Bei neuen Hüftgelenken besteht eher die Auskugelungsgefahr. Das gilt z. B. für Golfer, die bei den Abschlägen eine Drehbewegung in der Hüfte durchführen. Mit kleinen Modifikationen bei der Schlagtechnik ist jedoch auch Golfen mit Endoprothese wieder möglich.

Hier wird’s gefährlich

Von Sportarten mit hohem Sturzrisiko und abrupten Richtungswechseln raten die Ärzte dringend ab: „Dazu zählen Kampfsportarten wie Boxen oder Taekwondo, aber auch Kontaktsportarten wie Fußball, Hand- und Basketball“, warnt Dr. Johannes Schauwecker.

Bei Risikosportarten sollten die Patienten diese im Idealfall schon vor dem Einsatz des künstlichen Gelenks beherrscht haben. Dazu zählt zum Beispiel Skifahren: „Bei Sportarten, bei denen man sich leicht etwas brechen kann, besteht die Gefahr, dass auch die Prothese herausbricht“, warnt der Orthopäde. Wenn man aber schon vorher ein geübter Skisportler war, ist das auch nach der Operation weiter möglich: „Letztlich ist es immer eine individuelle Entscheidung, welches Risiko der Patient eingehen möchte. Manchmal müssen Patienten aber auch lernen, nach der OP mit gewissen Einschränkungen weiterzumachen.“

Gute OP-Vorbereitung

Vor dem sportlichen Neubeginn steht die Rehabilitation. Wie gut Patienten nach dem Gelenkersatz wieder unterwegs seien, hänge ganz entscheidend von der Muskelkraft und -Koordination, sowie von Beweglichkeit und Ausdauer zum Zeitpunkt des Eingriffs ab, ist Schauwecker überzeugt. Wer in diesen Punkten vor der OP Nachholbedarf hat, ist ein Kandidat für die Präha – die Prähabilitation. Die sorgt dafür, dass die Patienten gestärkt in die OP gehen und sich schneller wieder erholen: „Bei mir ist die Präha in Absprache mit den Patienten Standard“, unterstreicht der Orthopäde. Er hat zudem beobachtet: Wer schon vor der OP gelernt hat, wie man an Unterarmstützen läuft und wie spezielle Gang-Techniken funktionieren, tut sich hinterher leichter.

Gewicht und Diabetes

Wichtig ist laut Schauwecker auch, weder unterernährt noch übergewichtig in die OP zu gehen. Die klare Empfehlung lautet: Der Body-Mass-Index (BMI) sollte nicht über 35 liegen. Bei Diabetikern muss der Blutzucker gut eingestellt ist. Andernfalls steigt das Infektionsrisiko im Gelenk massiv an. Das gilt auch für entzündete Zähne. Deshalb ist es wichtig, vor dem Eingriff zum Zahnarzt zu gehen. Auch ein aktuelles Blutbild vor dem Eingriff ist wichtig. Dabei ist speziell auf Eisenmangel zu achten. Denn ein größerer Blutverlust während der Operation kann für einen durch Eisenmangel geschwächten Körper kritisch werden. „Da arbeiten wir mittlerweile auch sehr gut mit den Hausärzten zusammen“, berichtet Schauwecker und betont: „Das Gesamtpaket muss funktionieren. Ich bin nur ein Teil davon. Ein Gelenkersatz ist eine echte Teamarbeit.“

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