München – Die größte Gefahr lauert unter anderem im Fußball. In dieser und anderen sogenannten Kontaktsportarten erwischt es Frauen durchschnittlich drei Mal so häufig wie Männer. Das Risiko kann je nach Alter und Leistungsniveau sogar noch dramatisch ansteigen – und zwar auf das Fünf- bis Achtfache. Davon sind insbesondere sehr junge Leistungssportlerinnen unter 19 Jahren betroffen, berichten Dr. Natalie Mengis und Professor Thomas Pfeiffer von der Deutschen Kniegesellschaft (DKG) innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU).
Auch Hormone machen Kreuzband anfälliger
Die beiden Bandspezialisten analysieren auch die Gründe. Dazu zählen in erster Linie biomechanische Ursachen – es liegt also, aus dem Medizinerdeutsch übersetzt, gewissermaßen an der Architektur des weiblichen Kniegelenks. Es ist von Natur aus so angelegt, dass die Oberschenkelmuskulatur offenbar das Kreuzband weniger schützt als bei Männern und damit ein erhöhtes Verletzungsrisiko bei Frauen auslöst. Zudem könnten auch Hormone eine Rolle spielen, berichten die DKG-Experten in ihrer Stellungsnahme anlässlich der gerade laufenden Frauen-Fußball-Weltmeisterschaft. In bestimmten Phasen des Menstruationszyklus sei das vordere Kreuzband bei Frauen verletzungsanfälliger. „Das Training sollte im Idealfall an den Zyklus angepasst werden. Krafttraining ist in der ersten Zyklusphase besonders effektiv.“
Tückisch: Wenn das Kreuzband reißt, müssen es die Patienten gar nicht sofort merken. In vielen Fällen schwillt das Knie erst mit etwas Verzögerung an, auch die Schmerzen lassen sich oft aushalten. Allerdings fühlt sich das Bein instabil an – wie Wackelpudding. Klarheit über den Zustand der Bänder liefert eine Magnetresonanztomografie (MRT). Bei einer schweren Knieverletzung ist auch ein Röntgenbild sinnvoll, um knöcherne Verletzungen auszuschließen – etwa einen Bruch des Schienbeinkopfs.
Chefarzt: Jeder dritte Unfall vermeidbar
Knie-Spezialisten haben allerdings auch eine ermutigende Erkenntnis gewonnen. So ließe sich ein Großteil der Kreuzbandrisse vermeiden, erläutert DKG-Präsident Professor Dr. Rüdiger von Eisenhart-Rothe. Der Orthopädie-Chefarzt im Münchner Uniklinikum rechts der Isar geht davon aus, dass sich durch gezieltes Training mindestens jeder dritte Knie-GAU verhindern ließe. Der Schlüssel dazu sei neuromuskuläres Training. Diese speziellen Übungen fördern Kraft, Schnellkraft, Balance und Koordination. „Dadurch verringert sich das Risiko, eine schwere Knieverletzung zu erleiden, erheblich“, weiß von Eisenhart-Rothe. Das Training sei auch eine wertvolle Investition in den langfristigen Erhalt des Kniegelenks. Denn Kreuzbandverletzungen befeuern Arthrose, die im Endstadium oft das Einsetzen eines künstlichen Gelenks erfordert. Bewährte neuromuskuläre Trainingsprogramme sind „FIFA 11+“ und „STOP-X“. Zu diesen Aufwärmprogrammen und Verletzungsprophylaxen gibt es im Internet ausführliche Informationen und Trainingsvideos auf den Websites www.dfb.de und www.stop-x.de.
Eine weitere interessante Erkenntnis: Die meisten Knieverletzungen beim Fußball passieren nicht in Zweikämpfen. „Das Knie wird in den meisten Fällen nicht vom Gegenspieler verletzt“, erläutert Knie-Spezialist Professor Philipp Niemeyer von der Orthopädischen Chirurgie München (OCM), Leiter der Gesellschaft für Arthroskopie und Gelenkchirurgie (AGA). „Oft treten Knieverletzungen beim Landen eines Sprunges oder bei plötzlichen Drehbewegungen auf. Das Knie ist nach innen geknickt und es entsteht ein X-Bein. Der Fuß ist flach aufgesetzt und nach außen gedreht.“
Wenn das Kreuzband gerissen ist, gibt es eine konservative und eine operative Behandlungsmöglichkeit. „Bei jungen Patienten mit einem hohen sportlichen Anspruch wird in der Regel operiert“, berichtet von Eisenhart-Rothe. Das gerissene Band wird nicht genäht, wie viele Menschen irrtümlich annehmen, sondern durch eine Sehne aus dem Oberschenkel ersetzt, genauer gesagt durch einen verzichtbaren Sehnenansteil. „Dieser wird aus der Quadrizepssehne am vorderen Oberschenkel oder aus der Semitendinosussehne, den sogenannten Hamstrings, auf der Rückseite des Oberschenkels entnommen“, erklärt von Eisenhart-Rothe.
Nach der Operation ist Geduld gefragt
Nach der OP müssen die Patienten ihr Bein nur wenige Woche mit Gehstützen entlasten. Im Profi-Fußball kehren die Fußballerinnen und Fußballer mitunter nach sieben bis acht Monaten auf den Rasen zurück, im Freizeitsport dauert es oft ein Jahr oder sogar noch länger. „Es ist wirklich Geduld angebracht“, rät von Eisenhart-Rothe, „denn wenn man zu früh wieder voll ins Training und in den Wettkampf einsteigt, droht ein erneuter Riss des Kreuzbands.“