Die Wahrheit über Vitaminpillen

von Redaktion

VON DORITA PLANGE

München – Meterlang sind die Vitamin-Regale in Drogerie- und Supermärkten. Und auch im Netz boomt das milliardenschwere Geschäft mit den Pillen und Nahrungsergänzungsmitteln. Viele Menschen glauben, dass sie sich mit der Einnahme verschiedenster Pillen etwas Gutes tun. Und hoffen sogar, sich damit sogar vor einem Herzinfarkt schützen zu können. Prof. Dr. Hans Hauner, Leiter des Else Kröner-Fresenius-Zentrums für Ernährungsmedizin am TUM-Klinikum rechts der Isar und Mitglied der Gelehrtengesellschaft Leopoldina, sieht diese Entwicklung äußerst kritisch.

Die Gefahren

Vor allem´Vitamin D und B-Vitamine wie Niacin (B3) und B12 sind immer wieder im Gespräch – und Gegenstand wissenschaftlicher Studien. Bei den meisten frei verkäuflichen Vitamin- und Nährstoffpräparaten handelt es sich um Nahrungsergänzungsmittel, oft angeboten als Multivitamin- und Nährstoffkombi für den Tagesbedarf. „Doch anders als Medikamente müssen Nahrungsergänzungsmittel keinen Wirkungsnachweis oder Belege für Unbedenklichkeit erbringen. Es gibt einfache Angaben zur Dosierung, ohne weitere Hinweise auf das Risiko möglicher Überdosierung oder auf Wechselwirkungen“, kritisiert Prof. Hauner. Ernährungsexperten sehen dieses Gießkannen-Prinzip zur Vitaminversorgung daher kritisch: „In der Leitlinie zur kardialen Rehabilitation wird sogar deutlich geschrieben, dass die Verwendung verschiedenster Nahrungsergänzungsmittel nicht mit einem reduzierten kardiovaskulären Risiko verbunden ist“, so Prof. Hauner. Gemeint ist damit die Wahrscheinlichkeit, an Herzinfarkt, Schlaganfall oder peripherer, arterieller Durchblutungsstörung zu erkranken.

Die Vitamine

Natürlich sind Vitamin-Präparate in Einzelfällen sinnvoll. Zwei Beispiele: ein ärztlich festgestellter Mangel an Vitamin D, ausgelöst durch zu wenig Sonnenlicht (UV-B-Strahlung). Oder ein Mangel an Vitamin B12, der bei streng veganer Ernährung, chronisch entzündlicher Darmerkrankung oder der Einnahme des Antidiabetikums Metformin entstehen kann. Das jedoch ist aus Prof. Hauners Sicht noch lange keine wirksame Vorbeugung gegen einen Herzinfarkt.

Die Studienlage

Vor allem zum Vitamin D gibt es etliche Studiendaten, die gezielt einen verbesserten Herzschutz bei Patienten im Fokus hatten. Denn dieses Vitamin ist nicht nur an der Versorgung des Knochens mit Kalzium beteiligt. Es finden sich auch Vitamin-D-Rezeptoren in Zellen von Blutgefäßen. Zudem wird dem Vitamin eine entzündungshemmende Wirkung zugeschrieben. Dies könnte sich positiv auf Gefäßablagerungen (Arteriosklerose) auswirken – einem wesentlichen Risikofaktor für die meisten Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Ältere Publikationen hatten einen möglichen Zusammenhang zwischen einem Mangel an Vitamin D und einem erhöhten Herzinfarkt-Risiko aufgezeigt. Die Ergebnisse neuerer, deutlich größerer Studien sind eher enttäuschend. In der 2018 veröffentlichten VITAL-Studie hatten über 25 000 gesunde Männer und Frauen ab 50 Jahren über mehrere Jahre täglich Vitamin D3 bzw. ein Scheinpräparat eingenommen. Resultat: Ob mit oder ohne zusätzliches Vitamin D kamen in beiden Gruppen Herzinfarkte und Schlaganfälle gleich häufig vor. Enttäuscht haben ebenfalls Ergebnisse der D-Health-Studie, bei der ältere Menschen regelmäßig Vitamin D3 einnahmen. Auch hier starben deshalb nicht weniger Patienten an einem Herzinfarkt oder Schlaganfall.

Ebenso kamen Wissenschaftler bei der Analyse von mehreren kontrollierten Studien zu den Wirkungen von Nahrungsergänzungsmitteln – darunter auch Vitamin-B-Komplex, Vitamin B3 oder Niacin, Vitamin B6 und Vitamin D – zu einem ernüchternden Ergebnis. Auch sie haben offenbar keinen Einfluss auf Sterblichkeit, Herzinfarkt oder Schlaganfall.

Ein Expertengremium in den USA hat sich im Jahr 2022 ebenfalls mit der Frage beschäftigt, ob Vitaminzusätze das Herz von noch gesunden Menschen schützen. Ihr Fazit aus der Analyse von 90 Studien: Die Vitamin- und Mineralstoff-Ergänzungen bei gesunden Erwachsenen ohne bekannten Nährstoffmangel bieten keinen klinisch bedeutsamen Schutz vor den kardiovaskulären Erkrankungen. Das Gremium leitete daraus also keine Empfehlung für Vitamin D ab – dafür aber explizit die Empfehlung, Beta-Carotin- oder Vitamin-E-Ergänzungen wegen Nebenwirkungen nicht zur Vorsorge von kardiovaskulären Erkrankungen einzunehmen. Mit großer Zurückhaltung wurde auch eine aktuelle australische Studie von Wissenschaftlern bewertet. Darin wurde der Effekt auf die Häufigkeit von Herz-Kreislauf-Problemen bei Einnahme von Vitamin D über fünf Jahre ausgewertet. Zwar gab es wohl einen leicht positiven Effekt auf das Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden –nicht aber auf andere kardiovaskuläre Erkrankungen. Zudem lässt diese Studie offenbar einen großen Spielraum für Interpretationen.

Die Schäden

Vitaminpräparate sehen harmlos aus und versprechen einen großen Effekt auf die Gesundheit. Deshalb sind viele Menschen gern bereit, viel Geld dafür auszugeben. Doch davon rät die Herzstiftung ab. Je nach Vitamin und Dosierung -– das gilt vor allem für die fettlöslichen Vitamine E, D, K, A – besteht sogar die Gefahr von schädlichen Wirkungen. Renommierte deutsche Fachgesellschaften weisen daher in ihren Leitlinien darauf hin, dass von einer zusätzlichen Vitamineinnahme kein günstiger Effekt auf die Entwicklung einer koronaren Herzkrankheit zu erwarten ist und raten von der Empfehlung zur Einnahme solcher Präparate ab.

Die Ernährung

„Setzen Sie lieber auf einen hohen Gemüse- und Obstanteil in Ihrer Ernährung wie überhaupt auf eine gesunde Ernährung“, empfehlen Professor Hauner und die Deutsche Herzstiftung. „Auf natürliche Weise lässt sich der Bedarf für die meisten Vitamine in Form einer ausgewogegen Ernährung problemlos decken. Und Sie leisten damit erwiesenermaßen einen Beitrag zur besseren Herzgesundheit und zur Vorbeugung von Herzinfarkten.“ Zudem sollte jeder auf ausreichend Bewegung achten, den Blutdruck im Blick behalten und Zigaretten meiden.

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