München – An einem Freitag im Februar dieses Jahres wird Lew M.’s (45; Name und Alter geändert) Welt auf einmal lautlos und erscheint in seltsamen Farben. Irgendwann verschwinden diese Symptome wieder. Wenige Tage später bricht er in der Arbeit bewusstlos zusammen. Kollegen rufen den Notarzt.
In der Klinik in seinem bayerischen Heimatort checken die Ärzte Herz, Kreislauf, Lunge und finden – nichts. Der passionierte Boxer und Marathonläufer scheint bei bester Gesundheit zu sein. Doch bald darauf kommen die Symptome zurück. Diesmal ist seine Frau Sofia bei ihm. „Ich war geschockt“, erzählt sie. „Das sah nach einem epileptischen Anfall aus.“ Lew M. kommt erneut in eine Klinik, es folgen weitere Untersuchungen. Dann die niederschmetternde Diagnose: ein bösartiger Hirntumor, zentral im Sprachzentrum gelegen – nicht operabel, sagen die Mediziner. Fortan lebt das Paar in Angst, plant gedanklich schon die Beerdigung.
Doch dann stößt Sofia M. im Internet auf ein Forschungsprojekt am Universitätsklinikum rechts der Isar: Mit dem sogenannten Brainmapping (siehe Text unten) werden hier schon seit Jahren die Grenzen der Neurochirurgie neu definiert. Nach dieser erfolgreichen Internetrecherche schöpft das Ehepaar M. neue Hoffnung.
Sie melden sich per E-Mail beim Team um Prof. Bernhard Meyer, Direktor der Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie am Universitätsklinikum rechts der Isar, an. Nur eine halbe Stunde später erreicht sie ein Anruf aus der Klinik: Sie sollen so bald wie möglich kommen.
In München folgen weitere Untersuchungen – und dann die erste positive Nachricht: „Uns wurde gesagt, es sieht gut aus! Der Tumor kann doch entfernt werden“, erzählt Lew M..
Am 12. April ist es dann so weit: Lew M. wird in den Hightech-Operationssaal geschoben. Rund vier Stunden später ist der Eingriff geschafft, der bösartige Hirntumor entfernt. „Eine makroskopisch, also mit bloßem Auge sichtbare, komplette Entfernung des Tumors bedeutet für den Patienten einen optimalen Start in die weitere Therapie. Sie geht in Studien mit einem deutlich längeren Überleben einher“, sagt Prof. Sandro Krieg, Leitender Oberarzt der Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie am Universitätsklinikum rechts der Isar. Er wird ab Oktober 2023 übrigens als Klinikdirektor am Universitätsklinikum Heidelberg tätig sein.
Heute sagt Lew M.: „Es geht mir gut.“ Er hält sich mit Spaziergängen, Laufen und Klettern fit. Die jüngste Kontrolluntersuchung hat gezeigt: Der Tumor ist nicht nachgewachsen. Und doch muss der 45-jährige damit rechnen, dass der Tumor eines Tages wiederkommt. Wie viel Zeit Lew M. bleibt – das kann niemand vorhersagen. „Ein bisschen länger“ werde er auf jeden Fall leben, sagt Lew M. „Viel länger!“, korrigiert ihn seine Frau Sofia energisch. Beide haben beschlossen: Sie wollen nicht zulassen, dass die Frage „Wie lange noch?“ ihr Leben bestimmt.