München – Deutschland hat Rücken! Acht von zehn Deutschen leiden unter Rückenschmerzen. „Die Bandscheibe ist schuld“, hört man da oft. Doch das ist eher ein Mythos. Denn nur zwei bis drei Prozent der Rückenschmerzen gehen auf einen Bandscheibenvorfall zurück. Der Rest hat vielfältige Ursachen. Wer unter sogenannten unspezifischen Rückenschmerzen leidet, findet Hilfe in einem neuen Buch: „Bandscheibe – Mythen, Wahrheit und was wirklich hilft“. Am heutigen Montag erschienen und geschrieben von Prof. Dr. Ingo Froböse, Spezialist für Prävention und Rehabilitation im Sport an der Deutschen Sporthochschule Köln und Leiter des Instituts für Bewegungstherapie, bewegungsorientierte Prävention und Rehabilitation. Mit diesen zehn Tipps des Rücken-Papstes kriegen Sie viele Schmerzen in den Griff:
1. Früh vorbeugen
„Wichtig ist, frühzeitig etwas für die Bandscheiben zu tun“, rät Prof. Froböse. „Der Rücken und seine Bandscheiben unterliegen völlig normalen Alterungs-Prozessen und verlieren, sofern man nicht aktiv dagegen arbeitet, langsam an Funktion und Fähigkeiten.“ Die Folgen: Überlastungen und Schmerzen. Froböse: „Dass Bandscheiben verrutschen ist übrigens falsch. Sie rutschen nie. Allerdings können sie sich wölben, auf einen Nerv drücken und chemische Stoffe ausschütten, die den Nerv irritieren. Das Gute daran: „Sie können sich auch wieder zurückziehen.“ Die Voraussetzungen dafür sind ausreichend Belastung und Bewegung: „Denn die Bandscheibe funktioniert wie ein Küchenschwamm: Wird sie zusammengedrückt, kann verbrauchtes Gewebswasser aus dem Knorpel abfließen. Das nennt man Dehydration. Bei der Hydration dehnt sie sich wieder aus und kann somit frisches, nährstoffreiches Wasser aufnehmen“, so der Professor. „Bandscheiben können sich selbst heilen. Und wir können ihnen dabei helfen.“
2. Atemnot der Muskeln
Wer lange bewegungslos im Auto oder am Schreibtisch sitzt, hält die Muskulatur immer in der gleichen Spannung. So kommt zu wenig Sauerstoff in die Muskelzellen und sie übersäuern. Die Folge: Schmerzen in der Schulter-Nacken-Region, mit der uns das Hirn auf den Mangel aufmerksam macht, um Schaden abzuwenden. Ein ähnlicher Effekt entsteht durch zu wenig Trinken oder einen schlechten Stoffwechsel. Abfallstoffe verstopfen das Bindegewebe, die Versorgung gerät ins Stocken. So entstehen Mini-Entzündungen. Auch das Zusammenspiel von Muskel und Hülle funktioniert nicht mehr – der Grund, warum wir uns nach langen Autofahrten wie gerädert fühlen und total steif aussteigen.
3. Die Trinkformel
Wasser ist das wichtigste Füllmaterial der Bandscheiben für die Versorgung und den Transport von Nährstoffen. So werden sie hydratisiert und elastisch gehalten. „Jeder Mensch sollte täglich mindestens 30 Milliliter pro Kilo Körpergewicht trinken.“ Das entspricht 2,1 Liter für einen 70 Kilo schweren Menschen. Tipp: „Trinken Sie gut die Hälfte bereits vormittags.“
4. Homeoffice
Mit der mittlerweile weit verbreiteten Arbeit im Homeoffice fallen viele Bewegungsräume und damit auch die Entlastung für die Muskulatur weg. „Stehen Sie also stündlich mindestens fünf Minuten auf, bewegen und strecken Sie sich, dehnen sie die Bauchmuskeln, schalten Sie ab.“ Auch regelmäßiges Ausdauertraining wie Walken oder Laufen sollten Sie in den Alltag einbauen. Überprüfen Sie auch die Sitzposition: Sitzen Sie lange mit rundem Rücken, werden die Brustwirbel viel stärker als bei aufrechter Haltung verschlissen und stark belastet.
5. Faszien-Filz
Nichts funktioniert ohne Faszien – dieses feine Netz aus Bindegewebe, das alle Muskeln, Sehnen, Gefäße, Nerven, Knochen und Organe umhüllt und an jeder Bewegung beteiligt ist. Zu wenig Trinken und mangelnde Bewegung behindern den Stoffwechsel. Die Folge: Schmerzhafte Verklebungen und Rückenschmerzen.
6. Bloß keinen Stress
Die Ausschüttung von Stresshormonen und damit die Möglichkeit für blitzschnelle Reaktionen und ungeahnte Kräfte hat der Menschheit das Überleben gesichert. Diese Stressreaktion läuft bis heute gleich ab. Nur sind die Auslöser mittlerweile ganz andere: Stress im Job, Ängste jeder Art, Liebeskummer. Weil der körperliche Kampf dabei entfällt, schwirren Stresshormone länger durch den Körper. Die Folge: Wir verkrampfen uns. Lösen wir dies nicht durch Gegenbewegungen – sprich Sport – verursachen verspannte Muskeln auf längere Sicht Rückenschmerzen.
7. Richtig heben
Schwere Lasten heben, ohne den Rücken dabei zu schädigen, funktioniert folgendermaßen: Bauen Sie im unteren Rücken und Bauchraum Spannung auf, indem Sie den Bauchnabel nach innen ziehen. Damit stabilisieren Sie Ihre Lendenwirbelsäule und versteifen sie quasi. Wenn Sie merken, dass der Gegenstand immer noch zu schwer ist, holen Sie sich besser Hilfe beim Tragen.
8. Nie übertreiben
Gehen Sie sanft mit sich um und vermeiden Sie Überbeweglichkeit. Hat das Gelenk seine normale Bewegungsmöglichkeit erreicht, braucht man nicht weiter zu dehnen. Für alle Übungen gilt: Die Muskulatur darf während der Übung durch Anspannung zittern, sie darf auch mal ziehen. Aber sie sollte niemals mehr schmerzen als vorher.
9. Zwei Dehnübungen
Damit Muskeln ihre Arbeit erfüllen können, müssen sie kräftig sein und brauchen auch eine gewisse Länge für die Kraftübertragung. Dehnen ist daher das perfekte Wellnessprogramm für die Muskeln – auf zwei Arten.
Dynamisches Dehnen: Sanftes Federn in der Dehnbewegung hat einen stoffwechselaktivierenden Effekt. Perfekt fürs Aufwärmen. Statisches Dehnen: Beim Stretching wird die Position für etwa 15 bis 20 Sekunden gehalten. Für die Dehnung von Sehnen und Faszien sollte man ein bis drei Minuten in der Stretch-Haltung bleiben, denn das Bindegewebe reagiert träger.
10. Ischias & Co.
Bei bohrenden Schmerzen bis in die Zehen oder Sensibilitätsstörungen wie z. B. leichtes Kribbeln oder auch ein leichtes Taubheitsgefühl in den Beinen ist oft der größte Nerv, der Ischias, betroffen. Dieses Nervengeflecht beginnt an den Hüften, versorgt die Beine und reagiert empfindlich auf Muskelverspannungen, aber auch auf Wirbel- oder Bandscheibenverschiebungen. Hier gilt: „Durch Bettruhe werden die Schmerzen schlimmer, durch passende Bewegung werden sie gelindert.“
Und auch das ist ein Klassiker: Eine falsche Bewegung – und schon trifft Sie ein stechender Schmerz. Hexenschuss! „Bandscheiben oder Nerven haben damit aber rein gar nichts zu tun“, sagt Prof. Froböse. Die Ursache ist meistens eine stark verspannte oder überforderte Muskulatur, winzige Verschiebungen der Wirbelkörper, Zugluft, Kälte oder Stress. Jetzt geht es darum, die Rückenmuskeln zu entspannen mit einem Schmerzmittel, der Wärmflasche und sanfter Bewegung nach der akuten Phase.
Sofort zum Arzt:
Bei bestimmten Beschwerden sollten Sie zeitnah einen Arzt aufsuchen, weil dann tatsächlich ein sofort behandlungsbedürftiger Notfall vorliegen könnte. Dazu zählen Schmerzen, die in Arme, Nacken, in die Brustregion, die Füße oder die Knie ausstrahlen oder auch Schmerzen, die lange anhalten. Ärztlich abgeklärt werden müssen auch Taubheitsgefühle in Fingern, Armen oder Beinen sowie starke Kopfschmerzen, Schwindel (evtl. mit Übelkeit), Atemnot oder Herzrasen. Warnsignale können auch ein beklemmendes Gefühl in der Brust, extreme Steifheit des Nackens sowie starke Schmerzen in den Beinen sein.