München – Sie ist ein Killer. Alle sechs Minuten stirbt in Deutschland ein Mensch an einer Blutvergiftung. Dennoch wird die tückische Erkrankung, die in der Fachsprache Sepsis genannt wird, meist unterschätzt. Dabei ist sie mit rund 85 000 bis 100 000 Todesfällen pro Jahr die dritthäufigste Todesursache in Deutschland. Überlebende haben oft mit dramatischen Folgeschäden zu kämpfen. Besonders tragisch ist die Tatsache, dass von den Todesfällen ein großer Teil vermeidbar gewesen wäre!
Wie gelingt es der Sepsis, so viele Opfer dahinzuraffen? „Sie bleibt oft unerkannt oder wird sehr spät erkannt. Das liegt auch daran, dass sie klinisch wie ein Chamäleon sein kann und sich mit unterschiedlichsten Symptomen bemerkbar macht“, sagt Dr. Tobias Weiglein, Oberarzt in der zentralen Notaufnahme des Uniklinikums Großhader. Dort ist er zuständig für die Patienten, die mit internistischen Beschwerden eingeliefert werden, also vom Herzinfarkt über Bauchschmerzen bis hin zu Infektionen. „Wir in der Erstversorgung sind oft überrascht, wie häufig Patienten mit einer Sepsis unter den Notaufnahmepatienten sind, bei denen man das aufgrund der anfänglichen Beschwerden gar nicht gedacht hätte“, sagt der Internist. „Vor allem bei den betagteren Patienten ist es häufig, dass sie mit dem Verdacht auf Schlaganfall eingeliefert werden, aber in Wirklichkeit eine Sepsis haben“, erzählt er weiter.
Blutvergiftungen gebe es in verschiedenen Schweregraden. Meistens haben die frisch eingelieferten Patienten noch keine Sepsis, die schon auf den gesamten Blutkreislauf übergegriffen hat, sondern noch eine lokal begrenzte Infektion. „Aber gewisse Nebenerkrankungen und Risikofaktoren wie Diabetes mellitus, eine chronische Lungenerkrankung oder Herzschwäche können dazu führen, dass es schnell sehr gefährlich wird, Und dann aus einer begrenzten Infektion eine Blutstrominfektion entstehen kann“, erklärt der Mediziner. Besteht diese Gefahr, sei es besonders wichtig, die Patienten genau zu überwachen, erklärt Dr. Weiglein. Alarmzeichen für eine Sepsis können insbesondere die folgenden sein: „Die Patienten bekommen beispielsweise Wesensveränderungen, Blutdruck oder Puls verändern sich stark, es tritt plötzlich hohes Fieber auf, die Menschen werden kaltschweißig, die Atemfrequenz steigt stark oder die Menschen fühlen sich plötzlich ungewöhnlich stark krank.“
Oft geistert ein falscher Mythos über die Sepsis umher: Man könne eine Blutvergiftung daran erkennen, dass sich nach einer Verletzung ein roter Strich am Arm oder dem Bein zeigt. Falsch, sagt Dr. Weiglein: „Der rote Strich als Einzelsymptom deutet noch nicht auf eine Sepsis hin, sondern zeigt vielmehr die Entzündung einer Lymphbahn an.“ Diese lasse sich gut behandeln und sei nicht lebensbedrohlich.
„Eine Sepsis findet primär in den Blutbahnen statt und ist eine ganz eigene Erkrankung“, erklärt der Experte. Eine Blutvergiftung wird immer durch eine Infektion mit Krankheitserregern ausgelöst. Am häufigsten entsteht sie aus einer Infektion im Körperinneren – beispielsweise einer Lungenentzündung, einer Darm-Entzündung oder auch einem Harnwegsinfekt. Aber eine Sepsis kann auch bei Wunden oder Verletzungen entstehen.
Auslöser sind meist Bakterien, seltener Pilze oder Viren. Treten Keime ins Blut über, kann es passieren, dass der Körper mit einer überschießenden und fehlregulierten Immunantwort reagiert, erklärt Dr. Weiglein. Diese massive Antwort des Immunsystems kann ausgelöst werden durch Gifte, die die Bakterien ausscheiden oder auch durch die Bakterien selber. Wenn das Immunsystem dann sehr stark überreagiert, führt das dazu, dass es im ganzen Körper als Reaktion zu Flüssigkeitsaustritten in das Gewebe und zu der Bildung eines Ödems kommt. Dadurch bekommt der Patient Probleme mit seinem Blutdruck. Dieser kann beispielsweise dramatisch abfallen. In Folge wird der Körper nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt. Dies führt dann zu dem gefürchteten septischen Schock. Denn sind die lebenswichtigen Organe nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt, können sie Schaden nehmen – zum Beispiel das Gehirn, aber auch die Leber und die Niere, das Herz oder die Lungen.
Wichtig zu wissen: Bekommen Patienten mit einem septischen Schock nicht gleich das Antibiotikum, das die Bakterien bekämpft, sinkt ihre Überlebenschance mit jeder Stunde drastisch ab. Die Prognose insbesondere des septischen Schocks ist schlecht, erklärt Dr. Weiglein. Je nach Schwere der Erkrankung sterben zwischen zehn und 60 Prozent.
Ob ein Antibiotikum helfen kann, kann nur ein Arzt entscheiden, betont Dr. Weiglein. „Antibiotika helfen nur gegen bakterielle Infektionen – liegt eine solche nicht vor, dann schaden sie.“ Sein Tipp, wie man eine Blutvergiftung vermeidet: Entzündungen gut beobachten, Krankheiten ernst nehmen und nicht verschleppen. Zudem verweist er auf die Checkliste der Initiative „Deutschland erkennt Sepsis“, die Sie unten sehen.
„Mit jeder Stunde, die ohne Therapie verstreicht, sinkt die Überlebenschance
drastisch.“