Wiesn-Stürze: Unterschätzte Gefahr

von Redaktion

VON ANDREAS BEEZ

München – Im Wiesn-Rausch ist das Malheur schnell passiert, etwa beim Tanz auf der Bank oder auf dem bierseligen Heimweg: Man stürzt unglücklich auf Rücken oder Kopf. Oft quittieren Spezl oder Tischnachbarn den Unfall mit Gelächter, der Betroffene rappelt sich wieder auf, sieht vielleicht kurz ein paar Sterndl, feiert aber trotz Beschwerden weiter. Später legt er sich ins Bett, um seinen vermeintlichen Bier-Brummschädel einfach auszuschlafen. Genau darin besteht die Gefahr speziell nach sogeannten leichten Schädel-Hirn-Traumata. Denn die Symptome einer Hirnblutung sind jenen eines Vollrauschs ähnlich. Neben Kopfschmerzen können Schwindel, Übelkeit und Erbrechen auftreten, mitunter wirkt die Sprache verwaschen, der Patient reagiert aggressiv oder mit seltsamen Wesensveränderungen. „Insofern kann ein unglücklicher Sturz auf der Wiesn lebensbedrohlich enden“, warnen Professorin Viktoria Bogner-Flatz und Dr. Dominik Hinzmann, Ärztliche Leiter des Münchner Rettungsdienstes.

Diagnosebilder in wenigen Minuten

Auch für Mediziner ist eine Hirnblutung ohne technische Hilfsmittel schwer zu diagnostizieren. Deshalb setzen sie auf der Wiesn eine Computertomografie-Anlage ein. Dieser mobile CT-Scanner wird von den Rettungsprofis der Aicher Ambulanz betrieben. Dabei kommen die Patienten in die Röhre, und das Gerät liefert bereits nach wenigen Minuten Schnittbilder vom Gehirn oder auch von der Wirbelsäule. Die Diagnose übernehmen erfahrene Radiologen des LMU Klinikums um Projektleiter Dr. Wilhelm Flatz. Damit legen sie eine schnelle Entscheidungsgrundlage, ob der Sturz-Patient Glück im Unglück hatte oder als Notfall in eine Klinik eingeliefert werden muss.

Das CT steht bereits zum zweiten Mal auf der Theresienwiese. Nach einer organisatorischen Meisterleistung in sehr kurzer Zeit kam es letztes Jahr erstmals zum Einsatz. Die Idee hatten Bogner-Flatz und Hinzmann – damals noch vor dem Hintergrund der Corona-Krise. „Wir wollten damit einerseits die Notaufnahmen der Münchner Kliniken entlasten und andererseits die Rettungskette für wirkliche Notfälle so kurz wie möglich halten. Dieses Konzept hat die Stadtverwaltung überzeugt, wir wurden vorbildlich unterstützt.“

Die CT-Premiere auf dem größten Volksfest der Welt sorgte weltweit für Furore. Dass sich der Schachzug der Notfallmediziner ausgezahlt hatte, belegt die Einsatzbilanz vom vergangenen Jahr. Die Ergebnisse sind nun sogar im „New England Journal of Medicine“ erschienen, es gehört zu den allerwichtigsten wissenschaftlichen Fachzeitschriften. Danach wurden 205 Wiesn-Gänger mit Verdacht auf ein leichtes Schädel-Hirn-Trauma in der CT-Röhre gescannt. Elf kamen mit Hirnblutungen in Krankenhäuser, bei 23 Patienten diagnostizierten die Radiologen Mittelgesichtsfrakturen, Verletzungen an der Halswirbelsäule kristallisierten sich nicht heraus. 17 Patienten wurden aufgrund ihres CT-Befunds in ein Krankenhaus gebracht – und weitere 14 aus Gründen, die nichts mit ihrem Sturz auf den Kopf zu tun hatten.

CT-Anlage bis nachts um 2 Uhr verfügbar

Auch heuer wird die CT-Anlage wieder während der Stoßzeiten rund um den größten Besucherandrang auf der Wiesn betrieben – montags bis donnerstag von 18 bis 2 Uhr und Samstag und freitags bis sonntags von 12 bis 2 Uhr, das Gerät befindet sich im Bereich der Sanitätsstation. Kurios: Trotz der Hightech-Diagnostik wollen sich manche Patienten nicht helfen lassen. So ging am ersten Wiesn-Wochenende ein 60-jähriger Patient einfach nach Hause, obwohl er eine Hirnblutung erlitten hatte. Später konnten ihn die Notärzte mithilfe seiner Ehefrau doch noch davon überzeugen, dass er sich in einer Klinik behandeln lässt.

„Man darf solche Verletzungen nicht auf die leichte Schulter nehmen“, warnt Bogner-Flatz, die als Chefärztin die Notaufnahme der Kreisklinik Ebersberg leitet. „Hirnblutungen können sich über mehrere Stunden entwickeln und ausdehnen. Im schlimmsten Fall geht man mit einem Brummschädel ins Bett und wacht morgens nicht mehr auf.“

Gemeinsam mit ihrem Co-Rettungschef Hinzmann vom Uniklinikum rechts der Isar rät Bogner-Flatz inbesondere jenen Patienten zur Vorsicht, die blutverdünnende Medikamente einnehmen. „In den ersten 24 Stunden nach dem Sturz gilt erhöhte Aufmerksamkeit, im Zweifel sollte man lieber einen Arzt oder eine Klinik aufsuchen – notfalls auch nachts. Wenn sich die Symptome verschlimmern, darf man nicht bis zum nächsten Morgen warten. Zudem ist es sinnvoll, auch den direkten Angehörigen von dem Unfall zu erzählen“, erläutern Bogner-Flatz und Hinzmann.

Einer unnötigen Gefahr setze man sich übrigens aus, wenn man direkt vorm Wiesn-Besuch eine Aspirin-Tablette zur Kater-Prophylaxe schluckt: „Aspirin wirkt blutverdünnend und erhöht damit im Fall eines Sturzes auf den Kopf das Risiko einer Hirnblutung“, so die beiden Leiter des Münchner Rettungsdienstes.

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