Neue Chancen für Alzheimer-Patienten

von Redaktion

VON SUSANNE SASSE

München – Demenz ist der fortschreitende Verlust geistiger Fähigkeiten – will man hier gegensteuern, sollte man früh damit beginnen und den Patienten dabei einbinden. Leider läuft es oftmals anders. Meistens schlechter – so wie zum Beispiel im Fall von Inge Maier (Name geändert). Die 83-jährige Münchnerin weint, als sie von ihrer Diagnose von vor zwei Jahren erzählt, so sehr hat sie das Verhalten einer Hausärztin gekränkt. „Die Ärztin hat nur mit meinem Mann geredet, kein Wort mit mir“, erzählt die Seniorin.

Ein schlechter Start für die Behandlung, mit der man an sich viel Gutes bewirken kann. Denn der Verlauf einer Demenz ist zu 40 Prozent beeinflussbar, erklärt Dr. Jürgen Herzog. Der Neurologe ist Ärztlicher Direktor der Schön Klinik München Schwabing und Experte beim Thema Demenz. Schon als junger Arzt forschte er am Uniklinikum Großhadern.

Er könne die tiefe Kränkung von Inge Maier verstehen, die das Gefühl hatte, dass ihr Mann und die Ärztin bei der Diagnosestellung nur über sie, aber nicht mit ihr sprachen, sagt Herzog, der auch die Tagesklinik für Demenz am Schwabinger Schön-Klinikum leitet. „So ein Verhalten verunsichert Patienten, die schon unter Einschränkungen ihrer Gedächtnisfunktion leiden, nur zusätzlich und schürt ungutes Misstrauen. Wichtig ist ein würdevoller Umgang.“

Fundierte Diagnose bald durch Bluttest

„Man kann heute schon viel früher feststellen, ob eine beginnende Demenzerkrankung vorliegt – und zudem auch weit genauer sagen, um welche Form es sich handelt und wie weit sie fortgeschritten ist“, sagt der Neurologe. So kann man mit bildgebenden Verfahren wie beispielsweise der Kernspintomografie heute Demenz bereits in der Frühphase erkennen. Hierzu werden die Hirnareale vermessen, die für die Gedächtnisleistung zuständig sind. Mit dieser Methode kann bei älteren Personen, die schon an leichten geistigen Einschränkungen leiden, mit einer Genauigkeit von 70 Prozent vorhergesagt werden, ob in den nächsten drei Jahren eine Alzheimer-Demenz auftreten wird.

Noch früher, also bevor Ablagerungen und Veränderungen im Gehirn sichtbar werden, kann man eine Alzheimer-Demenz im Nervenwasser nachweisen, das Rückenmark und Gehirn umgibt. Dabei wird gemessen, ob und wie viele Abbauprodukte krankmachender Eiweiße sich in ihm befinden. Um Liquor, so nennt sich das Nervenwasser, zu gewinnen, ist eine sogenannte Lumbalpunktion erforderlich. Dazu führt der Arzt eine dünne Nadel meist zwischen den vierten und fünften Lendenwirbelkörper ein.

Ab 2024 könnte es zudem einen Bluttest zur Früherkennung geben, bei dem ebenfalls Biomarker der krankmachenden Eiweiße nachgewiesen werden, erklärt Herzog. Dieser Bluttest könne, wenn er 2024 in Deutschland zugelassen wird, die Lumbalpunktion ersetzen.

Zudem gibt es neue nuklearmedizinische Diagnosetechniken: „Mit ihnen ist eine Demenz schon in einem extrem frühen Stadium nachweisbar.“ Hierfür wird den Patienten eine radioaktiv markierte Substanz injiziert. Diese setzt sich dann an den krankmachenden Eiweißen beta-Amyloid und Tau fest und markiert sie so. Dieser Test koste zwischen 1500 und 1800 Euro, die Kosten würden oft von den Krankenkassen übernommen.

Diese Therapien mildern Demenz ab

„Die Demenzfunktion im Gehirn ist zwar zu 60 Prozent nicht zu ändern, aber zu 40 Prozent kann man das Risiko beeinflussen“, sagt Dr. Herzog. „Denn auf 40 Prozent, also beinahe die Hälfte, kann man eben schon einwirken und hier den Prozess abmildern.“ (siehe Text unten)

Hierzu dienen unter anderem Medikamente wie Rivastigmin und Donepezil, erklärt Dr. Herzog. Zur Erklärung: Bei Demenz gehen im Gehirn Nervenzellen zugrunde. Beide Medikamente sorgen dafür, dass mehr Botenstoffe vorhanden sind, um die weniger zahlreichen Nervenzellen mit mehr Botenstoffen zu erreichen. Sie verbessern also die Funktion der Erregungsleitungen im Gehirn und stärken so das Erinnerungs- und Denkvermögen. „Damit kann man den Verlauf der Demenz im günstigen Fall ein bis zwei Jahre erleichtern“, sagt Herzog. Die Medikamente funktionieren folgendermaßen: Rivastigmin blockiert die Eiweiße, die Achetylcholin abbauen. Achetylcholin ist die Substanz, die Nervenzellen im Gehirn aktiviert. Donezepil verlangsamt den Abbau. Insofern sorgen beide Mittel dafür, dass es im Gehirn mehr Substanz gibt, die Impulse weiterleitet.

Zudem kann eine feste Tagesstruktur den Verlauf einer Demenz ebenfalls positiv beeinflussen. „Hierzu muss man sich vor allem klarmachen, dass ein Mensch, in dessen Gehirn Nervenzellen krankhaft zugrunde gehen, natürlich nicht mehr so belastbar und flexibel ist wie ein gesunder“, sagt Herzog. Da Patienten auf Unvorhergesehenes nicht mehr so flexibel reagieren können, bedeutet es für sie enormen Stress. „Wenn sie zum Beispiel bei der U-Bahn eine Station zu früh aussteigen, dann sind sie völlig verloren“, erklärt er. Eines der wichtigsten Dinge sei also eine feste Tagesstruktur, die den Patienten Orientierung und Sicherheit gibt. „Wenn sich die Patienten zum Beispiel jeden Tag um dieselbe Uhrzeit und auf die immer gleiche Art ihr Frühstück zubereiten, dann können sie das oft auch noch dann, wenn die Krankheit weit fortgeschritten ist.“

Weitere Begleiterscheinungen behandeln: Zudem sei es sehr wichtig, beispielsweise Schmerzen oder depressive Symptome zu behandeln, sagt Herzog. Da Menschen mit Demenz oftmals sehr stark auf Medikamente reagieren, seien oft schon geringe Dosierungen ausreichend. Bei seiner Patientin Inge Maier ist der Neurologe derzeit dabei, das Zittern ihrer Hände zu behandeln, das neuerdings aufgetreten ist. Gegen ihre Traurigkeit bekommt sie ebenfalls Medizin – denn geht es ihr besser, dann beeinflusst das auch den Verlauf der Demenz. Die Therapien scheinen auch zu wirken – jedenfalls sagt Inge Maier, es gehe ihr gut. Hoffentlich noch lange.

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