Wenn die Schulter beim Sport leidet

von Redaktion

VON ANDREAS BEEZ

München – Ein flüchtiger Moment der Unaufmerksamkeit reicht schon – gerade jetzt im Herbst, wenn die Wege rutschiger werden und die Sicht nachlässt: Man verliert beim Joggen oder Radfahren das Gleichgewicht und landet auf der Schulter. „Bei solchen Stürzen nimmt dann oft das Schultereckgelenk Schaden, und auch beim Ski- oder Snowboardfahren kommt dieses Verletzungsmuster immer wieder vor“, weiß Professor Ben Ockert. Der Münchner Orthopäde und Sportmediziner hat sich auf Schulterverletzungen spezialisiert und verhilft in seiner Praxis zahlreichen Sportlern aller Leistungsniveaus wieder zurück zu ihrem Sport. Alle Patienten eint, dass sie, wenn möglich, um eine OP herumkommen möchten. „Das klappt häufig, aber leider nicht immer“, weiß Ockert, „doch gerade bei Schultereckgelenksverletzungen muss man nicht zwangsläufig unterm Messer landen.“

MRT liefert Infos zum Ausmaß der Verletzung

Klarheit liefert neben dem Unfallmechanismus und der händischen Untersuchung in der Regel eine Magnetresonanztomografie (MRT). Anhand der Schichtaufnahmen aus der Diagnoseröhre erkennen Radiologen und Sportmediziner, wie ausgedehnt die Verletzung ist. Wenn „nur“ die Gelenkkapsel eingerissen ist, reicht in der Regel eine konservative Therapie. Das bedeutet: Die Schulter wird für zwei Wochen mit einer Schlinge ruhiggestellt. Zudem helfen Spritzen bei der Heilung, sie enthalten entzündungshemmende Medikamente, manchmal zusätzlich ein lokales Betäubungsmittel gegen die Schmerzen.

Auch Eigenblutbehandlungen sind eine Therapieoption. Dabei wird dem Patienten Blut abgenommen und in einer Spezialzentrifuge aufbereitet. So gewinnt der Arzt ein nebenwirkungsfreies Extrakt aus Wachstumsfaktoren und anderen körpereigenen Stoffen, die die Selbstheilungskräfte ankurbeln sollen. Die Behandlungsmethode heißt in der Fachsprache PRP-Therapie. Die englische Abkürzung steht für platelet rich plasma, was plättchenreiches Blutplasma bedeutet.

Wenn bei Schultereckgelenksverletzungen die Kapsel samt aller Bänder gerissen ist, steht in der Regel eine OP an. „Sie ist insbesondere sinnvoll, wenn Sportler ihr altes Belastungsniveau wieder erreichen möchten“, erläutert Ockert. Etwa 45 Minuten dauert es durchschnittlich, bis das Gelenk mit einem „Fadenzugsystem“, das am Knochen befestigt wird, stabilisiert ist. Der Eingriff erfolgt in Schlüssellochtechnik, das bedeutet, dass der Operateur mit kleinen Schnitten auskommt. Dabei hilft ihm auch eine Art Minikamera, die ins Gelenk eingeführt wird.

Der Patient muss seine Schulter etwa fünf Wochen lang schonen und kann dann mit gezieltem Belastungstraining beginnen. Je nach Job kann man nach acht Wochen wieder arbeiten gehen und nach vier Monaten wieder Sport treiben.

OP ja oder nein – diese Frage stellt sich auch nach einer Schulterluxation. Als Richtschnur gilt: Ist die Schulter zum ersten Mal ausgekugelt und auf MRT-Bildern kein größerer Schaden vorhanden, reicht es zunächst, die Schulter wieder einzurenken und kurzfristig ruhigzustellen. „Bereits nach einer Woche steht Bewegungstraining auf dem Reha-Plan, bei guter Ausheilung ist Sport nach drei Monaten wieder möglich“, erklärt Ockert.

Schulter ausgekugelt: Wann eine OP nötig ist

Etwa jeder vierte Patient mit einer Schulterluxation muss operiert werden – entweder weil sich im MRT strukturelle Schäden zeigen oder aber das Gelenk bereits zum wiederholten Male ausgekugelt ist. „Dann lässt es sich mit einem arthroskopischen Eingriff stabilisieren, um das Gelenk vor weiteren Luxationen zu schützen“, so der Orthopäde. Hinterher brauchen Sportler etwas Geduld, nach etwa vier bis sechs Monaten können sie wieder voll trainieren. Alltagstauglich ist die Schulter allerdings bereits etwa zwei Monate nach der OP.

Nicht immer sind Stürze oder akute Verletzungen an Schulterschmerzen schuld. Sie können auch durch chronische Überlastung verursacht werden und ausgesprochen hartnäckig sein. Der anatomische Hintergrund: Die Schulter ist ein durch Weichteile geführtes Kugelgelenk, das komplexe Bewegungsabläufe ermöglicht. Weil der Radius so groß ist, bedarf es vieler Stabilisatoren – vor allem Bänder, Sehnen, eine Kapsel, Muskeln und eine Gelenklippe, die das ganze System im Gleichgewicht halten. Wenn einer dieser wichtigen Stabilisatoren ausfällt, kann es Probleme geben – und diese Gefahr ist größer als bei anderen Gelenken.

„Aufwärmen und Dehnen sind wichtig, um beim Sport Entzündungen an der Schulter vorzubeugen, durch wiederkehrende Mikrotraumen kann die Schulter aber trotzdem Schaden nehmen, vor allem an der sogenannten Rotatorenmanschette“, erklärt Ockert. Die Rotatorenmanschette ist eine Gruppe von vier Muskeln. Sie umgreift den Oberarmkopf flächig, ähnlich einer Manschette, und ist maßgeblich für Bewegung und Stabilität der Schulter verantwortlich. Die konservativen Behandlungsmöglichkeiten sind vielfältig. Besonders die spezialisierte Physiotherapie kann hier helfen das Gleichgewicht wiederherzustellen und einem Fortschreiten der Schäden vorzubeugen. Dabei spielt die Stellung des Schulterblattes eine besondere Rolle.

Häufige Folge von langjährigem Überkopfsport (Tennis, Volleyball, Wurfsportarten) sind Veränderungen der Kapsel und Teilrisse an der langen Bizepssehne. „Kennzeichnend für die Sportlerschulter ist eine im Vergleich größere Außendrehbarkeit bei gleichzeitig eingeschränkter Einwärtsdrehbarkeit“, erläutert Ockert. Dabei entwickelt die Schulter über Jahre typische sportartspezifische Schäden, die in einigen Fällen trotz aller konservativer Maßnahmen andauernde Schmerzen hervorrufen.

Spezielle OP-Technik für lange Bizepssehne

Wer seinen lieb gewonnenen Sport nicht „an den Nagel“ hängen möchte, dem kann ein Eingriff in minimal-invasiver Technik Abhilfe schaffen. In solchen Fällen ist eine Tenodese der langen Bizepssehne möglich. „Bei dieser OP-Technik wird die Sehne praktisch versetzt. Der Operateur löst sie aus ihrer ursprünglichen Verankerung am Knochen und befestigt sie unterhalb der Schulterkugel mit einem sogenannten Fadenanker. Dadurch wird die Beweglichkeit und die Kraft erhalten, aber die Schmerzen lassen nach“, erläutert Ockert. Der Eingriff erfolgt in Schlüssellochtechnik, also ohne größere Schnitte. Er kann ambulant durchgeführt werden und dauert etwa eine halbe Stunde. Die Schulter ist nach etwa sechs Wochen alltagstauglich und Sport nach drei bis sechs Monaten wieder möglich.

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