Lara fährt nicht mehr mit dem Fahrrad in die Schule. Zu Fuß will sie schon gar nicht gehen. Das Mädchen muss nämlich durch ein Wohngebiet, wo nicht Jungs warten, die sie ärgern, sondern Hunde hinter Zäunen, die sie mit ihrem Bellen zu Tode erschrecken. Lara flüchtet dann kopflos und wäre einmal fast von einem Auto überfahren worden. Lara hat eine Kynophobie, eine übersteigerte Angst vor Hunden, die gar nicht so selten ist und das Leben zur Hölle werden lässt.
„Eine Phobie hat eine völlig andere Qualität als Angst. Angst ist ein Gefühl, das jeder gesunde Mensch empfinden kann. Angst macht auch Sinn, da sie als Schutz vor Gefahren für Körper und Psyche dient. Manche Menschen sind generell ängstlicher, andere mutiger. Aber auch die Mutigen können in einer konkreten Situation starke Angst verspüren. Eine Phobie ist eine übersteigerte Furcht, die für außenstehende Personen unbegründet und übertrieben scheint, für die betroffene Person aber nicht“, sagt Andrea Lehmer, Psychologin und systemische Familientherapeutin an der Regens-Wagner-Stiftung in Rottenbuch (Lk. Weilheim-Schongau). „Bei so einer Angststörung kann es zu körperlichen Symptomen wie Herzklopfen, Schwitzen, Atemnot, Muskelzittern oder Schwindelgefühlen kommen. Die Reaktionen können unterschiedlich sein, die einen flüchten, die andern erstarren. Fast immer kommt es zur Vermeidung, man fühlt sich kurzzeitig besser, aber das ist eine negative Verstärkung, denn die Angst bleibt nicht nur bestehen, sie wird mit der Zeit auch immer größer. Sie schränkt das Leben ein und die Betroffenen leiden massiv“, erläutert die Expertin.
Am häufigsten sind Tier-phobien gegen Spinnen und Schlangen, Das macht durchaus Sinn in Regionen, in denen die Tiere eine tödliche Gefahr bilden. In Mitteleuropa dagegen ist eine Spinnenphobie größtenteils erlernt. Wenn die Eltern den Kindern Angst vorleben, wenn sie sich ekeln, übernimmt das Kind das Verhalten. Allerdings scheint es zusätzliche biologische Faktoren zu geben. Ein Experiment an der Uni Wien hat untersucht, wie Babys auf Fotos von Spinnen und Schlangen reagieren. Diese Babys waren sechs bis acht Monate alt, sie konnten also noch kaum durch das Vorbild aus der Familie gelernt haben. Die Babys zeigten Stressreaktionen.
„Das heißt nicht unbedingt, dass Spinnenangst angeboren ist, aber es scheint doch genetische Faktoren zu geben, die so was begünstigen“, sagt Therapeutin Andrea Lehmer. Eine Disposition plus einer Lernerfahrung begünstigt Phobien. Im Fall von Lara könnte man annehmen, dass sie mal gebissen wurde. „Das ist aber nicht so, es gab nie eine Attacke eines Hundes. Ein Biss wäre auch eher eine Traumatisierung“, erklärt Lehmer. Bei Lara kam heraus, dass sie als Kleinkind noch im Kinderwagen von einem Hund angeschnüffelt wurde. Ihre Eltern erinnerten sich daran kaum, in ihrer Bewertung war das lapidar. Hinzu kam, dass die Oma, die in Laras Kindheit wichtigste Bezugsperson war, Hunde böse findet. „Bei der Oma ist da sicher auch viel Erlerntes über den bösen Wolf. Hunde sind heutzutage aber selbstverständliche Familienmitglieder. In Laras Fall liegt ein komplexes Problem vor.“
Lara weiß selber, dass ihre Angst falsch ist, sie ist ihr ausgeliefert und vermeidet permanent jeden Hundekontakt. Kürzlich stieg sie viel zu früh aus dem Bus aus, weil ein Hund an Bord kam. Was tun? „Man muss wissen, dass es den sogenannten Mandelkern als Teil des limbischen Systems im Gehirn gibt. Hier werden Objekte und Situationen reflexhaft mit Angst verknüpft, ohne dass die vermeintliche Gefahr vorher noch einmal überprüft würde“, erklärt Lehmer. „Man versucht bei dem Prozess im Umgang mit den Gefühlen das Frontalgehirn auch mit einzubinden und somit das logische Denken anzusprechen. Denn das ist ja ausgeschaltet, wenn Betroffene in ihrer „Erstreaktion“ Flucht oder Erstarren gefangen sind. Wer aber merkt, dass die Angst nach einer Weile nachlässt, macht eine neue, positive Erfahrung.“
Die Pädagogin Moni Pepperl aus Geretsried hilft Betroffenen seit zwölf Jahren, zusammen mit Labrador Forrest und zwei weiteren Hunden. Oft als Ergänzung zu einer Psychotherapie. „Bei Kindern geht es oft auch um etwas anderes. Kinder, die sich in Übergangssituationen befinden – Trennung, Wohnortwechsel – haben Ängste, die Kynophobie ist nur ein Symptom.“ In einer systematischen Desensibilisierung wird eine stufenweise Konfrontation durchgeführt – beispielsweise mit einer Kuscheltierspinne oder einem Plüschhund. „Dann nähert man sich über echte Tiere an, die aber keine Raubtiere sind. Einem Lamm die Flasche geben, einen Esel streicheln“, erläutert Moni Pepperl. Bis als nächster Schritt der Hund kommt…