München/Berchtesgaden – Alle zwei Minuten erleidet in Deutschland ein Mensch einen Schlaganfall, die Folgen sind oft dramatisch. Etwa 40 Prozent der Betroffenen sterben innerhalb der nächsten zwölf Monate, zwei Drittel der Überlebenden sind dauerhaft auf fremde Hilfe angewiesen. Allerdings gibt es auch eine gute Nachricht: Die Behandlungsmöglichkeiten haben sich in den letzten Jahren enorm verbessert, sowohl in der Akutphase als auch in der Reha. Dabei kann auch Musik helfen. Darauf weist Professor Dr. Peter Rieckmann, Chefarzt des Medical Park Loipl bei Berchtesgaden, anlässlich des Welt-Musiktags am 1. Oktober hin.
Musik hebt die Stimmung, beruhigt, entspannt und beeinflusst zahlreiche Vorgänge im Körper. So verändert sich der Herzschlag, die Atemfrequenz passt sich an und das Gehirn wird angeregt. Die zahlreichen positiven Effekte von Musik setzt der Medical Park Loipl ganz gezielt bei der Rehabilitation von Erkrankungen des Nervensystems und des Gehirns ein – nicht nur bei Patienten nach Schlaganfällen, sondern auch bei Parkinson und Multipler Sklerose.
Welchen Effekt bewirkt die Musik – und was passiert im Körper? Konkret geht es um die Produktion von Botenstoffen im Gehirn. Genießt ein Musikfan seine Lieblingsklänge, kommt im mesolimbischen System, dem sogenannten Belohnungssystem, eine regelrechte Überflutung mit Botenstoffen in Gang. Die moderne Neuroforschung hat bewiesen: Hat das Gehirn ausreichend Botenstoffe, insbesondere Dopamin, zur Verfügung, bewirkt dies nachweislich positive Trainingseffekte. „Dopamin wirkt wie Dünger, durch den sich die in der Therapie eingeübten Bewegungen leichter im Gehirn festsetzen“, erklärt Chefarzt Rieckmann.
20 Minuten vor Therapiebeginn hören Patienten Musik
Zur Erhöhung des Neurotransmitterspiegels setzt die neurologische Rehabilitationsklinik im Nationalpark Berchtesgaden auf natürliche Stimulation durch Musik. In der Praxis bedeutet dies: 20 Minuten vor Therapiebeginn hören die Patienten ihre Lieblingsmusik – sei es Klassik, Volksmusik, Schlager oder auch Heavy Metal. „Dadurch werden sie in positive Stimmung versetzt, sind optimal vorbereitet und die Trainingseinheiten sind besonders nachhaltig“, so die Reha-Profis vom Medical Park.
Anders als nach Schlaganfällen sei der Höreffekt bei Patienten mit Parkinson schwieriger umzusetzen. Der Hintergrund: In ihrem Gehirn könne krankheitsbedingt nicht mehr ausreichend Dopamin gebildet werden. In solchen Fällen setzt der Medical Park Loipl auf rhythmusbetonte Musik. Auf diese Weise wird der Teil des motorischen Systems angesprochen, der Bewegungen koordiniert. Speziell Marschmusik im Viervierteltakt oder Walzer im Dreivierteltakt helfen, Bewegungsblockaden, das sogenannte Freezing, zu überwinden. Dazu empfiehlt Professor Rieckmann, sich den entsprechenden Rhythmus vorzustellen oder vor sich hin zu summen, um die Einschränkung zu überwinden.
„Sprachstörungen können quasi weggesungen werden“
Neben Entspannung und Verbesserung der Atmung hilft Singen gut bei Sprechstörungen. Artikulationsstörungen und Aphasien – Sprachstörungen aufgrund einer Hirnschädigung – sind häufige Symptome in der Neuro-Reha. „Sie können quasi „weggesungen“ werden, da beim Sprechen der Zugriff auf Wortfindung oft blockiert ist, was aber in Verbindung mit einer bekannten Melodie oftmals leichter fällt. „Ich empfehle meinen Patienten, sich singend auszudrücken, was erstaunlich gut gelingt“, erläutert Prof. Rieckmann. Denn Musik und Sprache seien im Gehirn eng miteinander verbunden, deshalb falle es vielen Patienten leichter, sich durch deren Kombination mitzuteilen.