Das Rotwild profitiert, die Gams leidet

von Redaktion

WILDTIERE IM NATIONALPARK BERCHTESGADEN

Weil Rudolf Reiner Wildbiologe (im Nationalpark Berchtesgaden) ist, zählen für ihn nur Argumente, keine Emotionen. Und so führt er auch die Diskussion ums Schalenwild sachlich. „Rotwild hat in den Bergen sehr gute Sommerlebensräume, die Herausforderung ist der Winter. Wir betreiben Winterfütterungen, um die Tiere davon abzuhalten, in die Landwirtschaftsflächen zu gehen. Wir greifen damit unnatürlich ein, ergo muss es auch eine Bestandsregulierung geben.“ Nur eines von fünf Rudeln macht Sorgen, da ist der Bestand unnatürlich gewachsen und eine Reduktion notwendig. Bejagung in der Kernzone lehnt Reiner ab, aber nicht in der Managementzone, dem Puffer zu den angrenzenden Privat- bzw. Wirtschaftswäldern. Problem ist, dass durch den Klimawandel die Schneefälle immer später kommen und die Tiere länger in der Kernzone bleiben. „Das Zeitfenster für eine klassische Jagd im Herbst, Frühwinter und im Frühjahr wird immer kleiner“, sagt der Experte.

Mit dem Klimawandel ändert sich die zeitliche und räumliche Lebensraumnutzung der Tiere, auch beim Rehwild. „Das Rehwild ist auf den Wald angewiesen, es hat einen kleinen Radius, braucht sichere Einstände und den Randbereich ins Grünland zur Äsung.“ Im dichten Wald wächst am Boden wenig außer Moosen, aber mit Windwurf und Borkenkäfer, mit Rückegassen, mit jeder Störung im Kronendach kommt mehr Licht auf den Boden, neue Pflanzen wachsen. Rehe profitieren also in einigen Gebieten vom Klimawandel. Die Gams hingegen hat Probleme. Sie ist an Kälte angepasst, aber hitzeempfindlich. Das alpine Symboltier verliert aufgrund der Klimaerwärmung an Körpergewicht und zwar umso mehr, je wärmer Frühling und Sommer sind. Je höher die Tiere leben, vor allem über der Baumgrenze, desto leichter werden sie. Was im ersten Moment unlogisch klingt, wenn doch weniger Schnee liegt und eigentlich mehr wächst? „Nicht die Quantität, sondern die Qualität der Nahrung nimmt ab, ihre Verdaulichkeit sinkt.“ Auch die Thermoregulation verbraucht Energie. Für die Gams wird der Wald zum besseren Lebensraum, dort gibt es Nahrung und Schatten. Hinzu kommt: Auch im Hochgebirge verlagert sich der Vegetationsbeginn nach vorne. Der Zeitpunkt der Geburt der Kitze verschiebt sich aber nicht. Und eigentlich war das die Zeit der energiereichsten ersten Grünäsung für die Muttertiere. Die ist dann aber schon lange vorbei, das Grün hat weniger Energie, die Kitze können nicht mehr optimal ernährt werden!

Auch hier leitet Reiner aus dem Naturzustand Erkenntnisse für eine Bejagung ab. „Das Geschlechterverhältnis ist da, wo nicht gejagt wird, anders. Es gibt mehr alte, erfahrene Tiere, die die Gruppe braucht. Auch weil sie in der Brunft besonnener sind. Junge Tiere verausgaben sich oft so sehr, dass sie den folgenden Winter nicht überstehen. Insofern sollten eher jüngere und weibliche Tiere bejagt werden. Das spiegelt auch die natürliche Mortalität wieder.“ Für Rudolf Reiner ist klar: „Die Evolution kann mit dem Klimawandel nicht Schritt halten.“ Deshalb bräuchten die Tiere u. a. jetzt im Spätherbst „dringend Ruhe, weil eine panische Flucht bei Störung ihr Todesurteil sein könnte.“ Umso wichtiger sei es, dass (Ski-)Wanderer ausnahmslos auf den ausgewiesenen Routen bleiben.

Artikel 6 von 9