TRAUERN TIERE? DAS SAGT DIE FORSCHUNG
Nach neueren Erkenntnissen trauern Tiere um verstorbene Artgenossen. Zum Beispiel Wale: Sie berühren verstorbenen Artgenossen mit den Flossen. Sie schwimmen an das tote Tier heran und tragen es. Manchmal bringen sie den Kadaver sogar an die Wasseroberfläche. Solches Verhalten konnten Wissenschaftler der Universität Mailand bisher bei sechs Walarten beobachten.
Gruppen von Elefanten sammeln sich immer wieder um einen toten Artgenossen. Der schottische Primatenforscher James Anderson beobachtete 2008 in einem Safaripark eine ganz spezielle Situation: Eine Vierer-Gruppe kümmerte sich um eine kranke Schimpansin, sie versuchten sie während des Sterbens zu schütteln. Nach ihrem Tod lausten sich die Affen öfter, was Anderson als ein Trösten deutete. Sie waren zeitweise aggressiv und dann wieder lethargisch.
Für Forschende bleibt die Frage, ob das Trauer ist oder ein Verlustgefühl. Da gab es Koko, ein Gorillaweibchen, das bis zu seinem Tod in einer wissenschaftlichen Einrichtung in den USA gelebt hat. Francine Patterson und ihr Team der Stanford University hatten Koko die „American Sign Language“ (ASL) beigebracht – eine Zeichensprache, die gehörlose Amerikaner nutzen. Damit konnte Koko mit den Betreuern kommunizieren. Koko war zudem eng mit einer Katze befreundet. Als die Katze von einem Auto überfahren wurde, hatte das Gorillaweibchen ihren Pflegern und Pflegerinnen wochenlang die Gebärdenzeichen für Trauer und Weinen gezeigt!
Die Wissenschaft gesteht inzwischen Tieren, die in Sozialverbänden leben und langfristige Bindungen zu Nachwuchs, Verwandten und/oder Partnern haben, in jedem Fall Emotionen zu. Bei sog. „intelligenten“ Tieren wie Menschenaffen, Elefanten, Walen oder auch Krähen spricht auch die Wissenschaft nun von Trauer. Der Verlust von Artgenossen lässt sich bei ihnen chemisch nachweisen: durch den Anstieg von Stresshormonen.
Trauerforschung hat ein Problem: Es gibt kein Mittel, die Emotionen von Tieren objektiv zu erfassen. Tiere können u.a. keine Fragebögen ausfüllen. Ein beliebtes Youtube-Video zeigt eine tote Hummel: Sie liegt inmitten von rosa Blütenblättern. Ameisen holen weitere und legen sie neben der Hummel ab. Ist das eine Hummelbeerdigung? Eher nicht. Der aus-tralische Ökologe Mark Elgar spekulierte, dass die Hummel auf dem Eingang des Ameisenstaats läge, sodass die Insekten die Blätter nicht hineintragen konnten. Soziale Insekten wie Ameisen und Bienen entfernen aber tote Artgenossen aus dem Bau; das kann Selbstschutz sein, um den Bau vor Keimen zu schützen.
Interessant ist: Der Mensch weiß rein intellektuell, dass der tote Organismus nicht mehr funktioniert, dass jeder Tod eine Ursache hat. Kinder lernen das Konzept aber erst mit etwa zehn Jahren, doch würde ihnen wohl niemand Emotionen absprechen. Angst, Liebe, Wut, Neid fühlen sie auch ohne Sprache, und Emotionen gibt es schon sehr früh im menschlichen Leben. „Dass wir der Sprache so viel Bedeutung beimessen, ist lächerlich. Es hat dazu geführt, dass wir den stummen Schmerz und das unausgesprochene Bewusstsein zahlreicher Lebewesen ignorieren“, sagt Frans de Waal. Der Biologe und Primatenforscher reiht in seinem Buch „Mamas letzte Umarmung“ (s. Buchtipp) selbst erlebte Anekdoten hintereinander und verbindet die mit neuesten Forschungsergebnissen. Das erste Kapitel beschreibt den Tod der alten Schimpansin „Mama“ im Zoo in Arnheim. Die Abschiedsgesten, Trauer und Totenwache der anderen Affen sind kaum von menschlichen Verhaltensweisen zu unterscheiden. Für den Autor ist klar: Menschenaffen verfügen über empathisches Mitgefühl. Diese Fähigkeit entdeckt er auch bei Hunden, Elefanten und Nagetieren. Ein interessantes Buch, das noch eines sagt: Alle Lebewesen, darunter der Mensch, gehen ihren Weg durch die Welt und verbinden sich dabei mit Artgenossen oder anderen Lebewesen – die sie eben auch vermissen und betrauern.