München – Tauben bekommen nicht gern Besuch, selbst dann nicht, wenn frisches Wasser und Futter als Gastgeschenke mitgebracht werden. „Auf der Straße überlebt nur, wer scheu und auf der Hut ist“, sagt Dr. Doris Quinten (70), während sie mit zwei Futtereimern den kleinen Hügel hinaufsteigt, auf dessen Gipfel ein Holzhäuschen thront: Sie stellt die Eimer ab und klopft energisch an die Tür, ein paar Tauben flattern aus dem Fenster, erst dann schließt die Tierärztin das Tinyhaus auf dem Gelände des Münchenstifts auf. Die Tauben fühlen sich in dem Häuschen aus hellem Holz wohl: Sie legen regelmäßig Eier. Diese werden gegen Plastikeier ausgetauscht. Der Trick ist gelungen: Doris Quinten nimmt ein falsches Ei in die Hand und sagt: „Es ist warm. Da hat gerade noch eine Taube drauf gesessen.“
Seit der Fertigstellung im April 2022 wurden über 50 Eier ausgetauscht. Stadttauben sind keine Wildvögel, es handelt sich um Nachkommen von Haus- und Brieftauben. Schon vor tausenden Jahren wurde die wilde Felsentaube von Menschen domestiziert. So wurde aus einer zwei Mal im Jahr brütenden Felsentaube, eine rund ums Jahr fruchtbare Haustaube, die selbst unter widrigsten Bedingungen Nachkommen großzieht und besonders ortstreu ist. Da es sich um ausgesetzte Haustiere handelt, sind Städte und Kommunen in der Pflicht, sich zu kümmern. Die Stadt München unterstützt den noch jungen Verein Einsatz für Tiere e.V., der seit seiner Gründung vor zwei Jahren schon fünf Taubenhäuser realisieren konnte. Für die Gelder ist Doris Quinten sehr dankbar: „Das gibt es so in keiner anderen Stadt.“ Vor wenigen Tagen erst wurde ein neuer Unterschlupf, eine Art Bungalow aus Blech, auf dem Dach der Hopfenpost fertig. Gegenüber an der Arnulfstraße im denkmalgeschützten Haus des Eisenbahnbundesamtes logieren die Tiere in einem gemütlichen Dach-Appartement. Doris Quinten hofft, dass viele Tauben, die bisher unter schlechten Bedingungen im Hauptbahnhof hausen, den Weg zu den neuen Taubenheimen finden: „Ich kann gar nicht mehr durch den Bahnhof gehen, so leid tun mir dort die Tauben“, sagt sie. Die Vögel verfangen und verletzen sich in den Netzen, die sie fernhalten sollen. Als Tierärztin hat Doris Quinten in ihrer Praxis viele Tauben behandelt, die sich an die Spikes auf den Zuganzeigern und Balken die Brust durchstochen oder die Augen ruiniert hatten.
Die Stadt München hat ein Fütterungsverbot in der Öffentlichkeit verhängt. „Die hochgezüchteten Tauben brüten dennoch, man erreicht lediglich, dass mehr Jungvögel verhungern“, so Dr. Quinten. Tauben sind sehr treu: Sie bleiben ein Leben lang bei ihrem Partner, haben einen festen Schwarm und suchen sich ein ständiges Zuhause, wo sie brüten können. Das macht sich der Verein um Doris Quinten mit seinen Taubenhäusern nach dem sogenannten Augsburger Modell zunutze. Die Tiere bekommen hochwertiges Futter, ihr Wasser wird mit Vitaminen angereichert. „In der Stadt gibt es nun mal keine Getreidefelder, hier fressen die Tauben Pizza, Pommes und anderen Abfall von der Straße“, so Quinten. Das macht die Vögel krank: Sie könnten 20 Jahre alt werden, schaffen aber in der Stadt meist nur zwei Jahre. Die Tiere werden tierärztlich versorgt und durch das Austauschen der Eier kann die Zahl der Tauben schonend gesenkt werden. Langfristig sollen weniger aber gesündere Tauben durch München fliegen – und „glücklichere“, lacht Doris Quinten.
Zweimal in der Woche kontrollieren Doris Quinten und ihre Vereinskollegen und Kolleginnen die Taubenhäuser, versorgen die Tiere, wechseln die Einstreu und kratzen den Kot von den schuhschachtelgroßen Abteilen, in denen jeweils ein Tontopfuntersetzer als Nistmöglichkeit steht. Regelmäßig nimmt sie Sammelproben mit und untersucht den Kot auf Krankheitserreger. Das Ergebnis: Bisher sind alle Tiere gesund. Die Ängste vieler Menschen, die Tiere würden Krankheiten übertragen seien übertrieben: „Das Risiko ist nicht höher als bei anderen Haustieren.“ Doris Quinten räumt noch mit einem weiteren Vorurteil auf: „Der Kot der Tiere zerstört keine historischen Gebäude, das ist seit 2004 in einer Studie aus Darmstadt nachgewiesen.“ Aber dennoch verschmutzen die Hinterlassenschaften der Tauben Gebäude und Plätze. Auch das ist ein Vorteil der betreuten Taubenhäuser: 80 Prozent des Kots bleiben dort und werden fachgerecht entsorgt. Bei Doris Quinten kommen sie ins Gemüsebeet: „Ich habe die besten Tomaten der Welt.“