Überlebenskünstler mitten im Fluss

von Redaktion

Unterwegs mit einem Vogel- und Naturexperten zu Bayerns seltenen Tieren auf Kiesbänken

VON NICOLA FÖRG

Schloss Linderhof– Langsam, ganz behutsam geht Michael Schödl über die Steine. Der Himmel ist verhangen und genau genommen sieht das hier alles aus wie ein überwiegend ausgetrocknetes Bachbett, ein Rinnsal. Schwemmholz liegt rum, ein paar Büsche wachsen auf höher gelegenen Riegeln. Wenn man ehrlich ist: Man sieht was? Nichts! Schödl lächelt. Es ist Ende April und der Alpenreferent des Landesbundes für Vogel- und Naturschutz begutachtet das Areal. „Das Hochwasser hat einiges verändert, manches auf Null gesetzt, manches hat sich verbessert.“

Er steht im Graswangtal im Bett der Linder, die dem weltberühmten Schloss Linderhof seinen Namen gegeben hat und im weiteren Verlauf als Ammer weit bekannter ist. Diese Linder ist ein typischer bergnaher Fluss, wo unter anderem die Schneeschmelze die Wasserstände stark verändert, wo es noch Auen gibt, wo aber auch wochenlange Hitze auf den Kiesbänken nur hochangepassten Spezialisten einen Lebensraum bietet. Sie sind Bewohner von Trockenlebensräumen und in Bayern gefährdet wie der Flussregenpfeifer bzw. akut vom Aussterben bedroht wie die Gefleckte Schnarrschrecke und der Kiesbankgrashüpfer.

Ein Projekt des LBV will bis 2029 auf 50 Flusskilometern zwischen Lech und Isar diesen Arten helfen, sie bekannter machen und sympathischer. „Unser Sympathieträger in den meisten Trockenlebensräumen ist der Flussregenpfeifer.“ Der kleine zarte Vogel ist nur 16 cm groß und maximal 40 Gramm schwer. Er fällt häufig durch seine typische Bewegungsweise auf. „Er ist der Putzige, was niedlich ist, will man eher schützen“, lächelt Schödl. Der kleine Zugvogel bewegt sich enorm schnell, er rennt über den Kies oder Schlamm auf Nahrungssuche. Ihm schmecken Würmer, Spinnen, Insekten, Larven und kleine Weichtiere. In die Bodenmulden von Kiesbänken baut er auch seine Nester.

Hier an der Linder sind auch die verwandten, noch selteneren Flussuferläufer daheim, von denen es nur noch etwa 100 Brutpaare in Bayern gibt. Wo wenige Individuen überhaupt überlebt haben, wo es Verinselung und genetische Verarmung gibt, zählt jedes Einzelindividuum! Das gilt auch für Insekten!

Schödl steht jetzt auf einem etwas höher gelegenen Bereich und vermutet unter sich die Eier der Gefleckten Schnarrschrecke. Sie legt von August bis Oktober die Eier ab, im Mai schlüpfen die Schrecken, sofern sie es soweit geschafft haben. „Es ist immer ein Glücksspiel, wie hoch das Wasser kommt. Beim großen Pfingsthochwasser 1999 wurde alles herausgespült, die Schnarrschrecke hat gerade so überlebt.“ Man kann insofern ihre Bestandsentwicklung seit 25 Jahren betrachten und die Entwicklung hier ist durchaus positiv. Aber an vielen Flüssen und Bächen kommen zu dem, was die Natur sowieso an Überraschungen bietet, Eingriffe des Menschen hinzu: Baggerarbeiten zum Kiesabbau, Flussbegradigungen oder Stauwehre – alles bedeutet immer auch einen Lebensraumverlust für diese hochspezialisierten Arten. Aber diese Gefleckte Schnarrschrecke gibt es nur noch in der Mongolei, auf Öland (Schweden) und eben im Voralpenland. „Bayern hat eine große Verantwortung“, sagt Schödl mit Nachdruck, gerade auch weil er weiß, dass eine Baggerschaufel eine ganze Art eliminieren kann.

Dabei ist sie ein so spannendes Tier: Mit einer Größe von 26 bis 39 Millimetern gehört sie zu den größten und auch eindrucksvollsten Feldheuschrecken Mitteleuropas! Ihr graubraunes Tarnkleid passt sie perfekt an ihren Lebensraum an. Kommt man ihr zu nahe, fliegt sie mit einem lauten, schnarrenden Geräusch auf.

Auch der Kiesbank Grashüpfer ist ein auffallendes Tier. Er hat zwei dunkle Flecken auf den Hinterschenkeln sowie blutrote Hinterschienen, das Einzige, was sich farblich von den Kiesbänken abhebt. Vielleicht sagt nun der eine oder die andere, dass man gut auch ohne diese Hüpfer auskommen könnte, aber sie sind Zeigerarten eines Lebensraumtyps, den es kaum mehr gibt. Bayern hat auch eine Verantwortung dynamische Alpenflüsse, also echte Wildflüsse zu erhalten! Es geht darum, alle Akteure zu sensibilisieren.

Für Fische gibt es eine EU-Wasserrahmenrichtlinie, ein Vogel kann flüchten und hat einen größeren Aktionsradius. Eine Pflanze wie die Tamariske, die auch zu diesem Lebensraumtyp gehört, kann man anpflanzen. Die Eier und Raupen der Insekten sind aber auf Gedeih und Verderb den menschlichen Begehrlichkeiten ausgeliefert. Schödl macht sich ein paar Notizen, weit oben kreist ein majestätischer Rotmilan. Es ist ganz still hier…

Interessanter Link:

www.kiesbrueter.de

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