Nadjila Bendig-Behrens (li.) und Petra Schmieder-Runschke unterstützen junge pflegende Menschen. © Young Carer Coach
München – In jeder Schulklasse sitzen im Durchschnitt zwei Kinder, die zu Hause weit mehr Verantwortung tragen, als es in ihrem Alter normal ist. Denn wenn Eltern, Geschwister oder andere nahestehende Menschen schwer erkranken, sind es oft auch Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, die sich kümmern. In München pflegen 8000 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene neben Schule und Ausbildung einen ihnen nahestehenden Menschen, der wegen einer Krankheit oder Behinderung auf ihre Hilfe angewiesen ist. Bundesweit gibt es etwa eine halbe Million dieser sogenannten „Young Carers“.
Eine von ihnen war Nadjila Bendig-Behrens. „Ich hatte superviel Verantwortung in jungen Jahren“, erzählt die Münchnerin. Als Nadjila 20 Jahre alt war, erkrankte ihre Mutter an einer Meningitis, also Gehirnhautentzündung. „Von einem Tag auf den anderen war alles anders, meine Mutter, die vorher sehr aktiv war, war plötzlich ein Pflegefall“, erzählt die heute 32-Jährige. Nadjila kümmerte sich drei Jahre lang um ihre Mutter, bis diese starb. „In der Zeit fühlte ich mich oft überfordert und alleingelassen. Ich habe mir eine Gemeinschaft von Leuten gewünscht, die verstehen, wie es mir geht, wenn ich dauernd Sorgen habe und nebenbei meine Ausbildung schaffen muss“, sagt sie. Heute ist Nadjila Pflegeexpertin – nach einer Ausbildung zur Krankenschwester studierte sie Gesundheits- und Pflegemanagement. Ihr Ziel ist es, junge Pflegende zu unterstützen. „Und ich möchte dazu anregen, dass das mehr Menschen tun“, sagt sie. „Während Corona war es selbstverständlich, Nachbarn zu helfen und zum Beispiel für sie einzukaufen.“ Sie wünsche sich, dass mehr Menschen mutig auf andere zugehen: „Fragen Sie nach, wie es den Nachbarn geht und ob Sie unterstützen können – manchmal helfen auch kleine Dinge: Einfach zuzuhören, eine Schokolade zu schenken oder mal schnell das kleine Geschwister vom Kindergarten abzuholen.“
Hilfe ist oft dringend nötig. „Oft aber bemerkt das Umfeld nicht, was die Kinder leisten – wir wollen erreichen, dass mehr Menschen hinschauen und helfen“, sagt Petra Schmieder-Runschke. Sie ist Vorsitzende der Stiftung An Deiner Seite. Maßgeschneiderte Info- und Hilfsangebote finden junge Pflegende auf der Stiftungs-Plattform Young Carer Coach (www.youngcarercoach.de). Zudem hat Petra Schmieder-Runschke einen Buchtipp: „Tom passt auf Papa auf“ von Julika Stich von der Initiative Young Helping Hands.
Am Donnerstag, 6. Juni, veranstaltet die An Deiner Seite Stiftung den ersten Young Carers Aktionstag für junge pflegende Angehörige und ihre Familien. Im Presseclub München gibt es von 14 bis 17 Uhr einen „Markt der Möglichkeiten“, unter anderem mit den „Demenz-Buddies“ von Desideria Care, die Initiative „Superhands“ der Johanniter sowie „Die Bergfüchse“ und „FreiRaum“ von Lebensmut für Kinder krebskranker Eltern. An den Infotischen des Bundesfamilienministeriums und der Münchner Hilfenetzwerke für Kinder und ihre suchtkranken oder psychisch erkrankten Eltern, der Münchner Erziehungsberatungsstellen, der Bezirkssozialarbeit der Stadt München sowie der Fachstelle für Demenz und Pflege Oberbayern informieren Experten. SUSANNE SASSE