Mauerseglern das Fliegen lehren

von Redaktion

Neuzugang: So hilflos kommen die jungen Mauersegler in die Auffangstation. © Ballerstädt (2)

Fast startklar: Ein Jungtier nach einigen Wochen Pflege.

Luftikus: Mauersegler sind fast immer in der Luft. © LBV

Mit etwa sechs Wochen wollen die jungen Mauersegler los: Dr. Ninon Ballerstädt lässt sie immer Ende Juli im Würmseestadion frei. Das perfekte Fluggewicht ist mit 40 Gramm erreicht. © Dieter Müller

Tutzing – Die Pflegestation ist gut gefüllt: Momentan – Ende Juni – sind es schon 30 Jungvögel und zwei Alttiere, die Dr. Ninon Ballerstädt in ihrem Zuhause in Tutzing päppelt – aber es werden mehr werden. Einer hängt ziemlich in den Seilen, hat die Augen geschlossen. Man hat sofort einen Schockmoment: Ist das filigrane Tierchen tot? „Nein, das ist nur eine totale Schlafmütze“, lächelt Ballerstädt, „drum heißt es auch Morpheo.“

Die Namen der Winzlinge werden nach den Charaktereigenschaften ausgewählt oder von den Findern und jenen Menschen, die eine Patenschaft übernehmen. Da sitzen auch schon Luzi, Attila, Corrina oder Otto – und sperren die Schnäbel eben leider nicht auf! Sie piepsen zwar, aber die Seglerjungen docken quasi direkt am Finger an. Es ist deshalb kompIiziert, ihnen ein Heimchen tief im Hals zu versenken. Die promovierte Naturwissenschafterin im Unruhestand macht das alle zwei bis drei Stunden, da ist keine Zeit für irgendetwas anderes, selbst der Schlaf fällt oft aus! Bei ihr sieht das Füttern dennoch leicht aus, aber nach 25 Jahren Mauersegler-Hilfe geht es eben routinierter.

Zwar routinierter, aber nie gleichförmig. Meist Anfang Mai kommen die Mauersegler zurück; nur zum Brüten und für die kurze Zeit der Jungenaufzucht sind Mauersegler in Bayern. Mauerseglereltern fliegen täglich 600 bis 800 Kilometer, um ausschließlich fliegende Insekten zu sammeln. Das ist möglich, weil Mauersegler ihre Jungen nicht im Minutentakt füttern wie andere Vogeleltern, sondern die Insekten im Kehlsack sammeln, bis ein Ballen bis zur Größe einer Haselnuss entsteht. Bis zu 1500 Insekten können da zusammengepappt sein. Der Ballen wird dann in unregelmäßigem Rhythmus in die hungrigen Seglermäuler gestopft.

Mauerseglerjungen sind also oft allein zu Haus – und manchmal sind die Eltern plötzlich ganz weg. Mauersegler spüren die sich verändernden Luftdruckverhältnisse und bei einer nahenden Schlechtwetterfront flüchten sie in Regionen mit besserem Wetter, denn nasskaltes Regenwetter ist für Insektenfresser fatal. Die Jungen bleiben zurück und sind in der Lage in einen Hungerschlaf zu fallen, „Torpor“ genannt. Sie fahren ihren Stoffwechsel herunter und können ein bis zwei Wochen auf die Rückkehr der Eltern warten. Sie zehren dann von ihren Fettreserven. Deshalb ist die Nestlingszeit bei Mauerseglern so unterschiedlich lang: 37 Tage bei guten Futter- und Wetterbedingungen und bis zu 56 Tage, wenn es schlecht läuft.

„2013 war das Katastrophenjahr“, erinnert sich Ballerstädt. „Im Alpenvorland sind quasi alle Brutvögel verhungert. Genau Ende Mai setzte Dauerregen ein, als die Küken gerade geschlüpft waren. Die Eltern entscheiden sich dazubleiben. Sind die Jungvögel etwas älter, könnten sie in den Torpor gehen, auch bereits bebrütete Eier überstehen ein paar Tage der Vernachlässigung. Aber das war das Worst-Case-Szenario!“ In diesem vertrackten Jahr kamen die Nichtbrüter Mitte Juni von der Wetterflucht zurück und starteten spät noch eine Brut, als die Jungen dann abflogen, waren die nestlosen Koloniebegleiter schon weg.

Man weiß, dass Segler sehr gesellig sind, das Problem ist generell, dass viele Verhaltensweisen nicht erforscht sind, weil man sie in Gefangenschaft nicht halten kann! Vieles sind daher Annahmen: „Das Zugverhalten ist wohl genetisch verankert, auch späte Vögel finden irgendwo Anschluss.“

Seit 2013 ist nichts mehr so, wie es einmal war. Ende Juli lässt Ballerstädt die von ihr aufgepäppelten Vögel im Würmseestadion starten. „Sie wollen weg, machen regelrechte Liegestütze, um auszutesten, ob ihr Gewicht passend zur Flügelfläche ist. Und sie wissen tatsächlich, dass sie zu schwer sind. Da hat man sie auf 50 Gramm gepäppelt und die machen dann eine Diät auf 40 Gramm Fluggewicht“, lächelt Ballerstädt.

Warum diese überaus faszinierenden Vögel überhaupt in Not geraten? Mauersegler sind ursprünglich Felsenbrüter. Sie wurden Kulturfolger, etwa im Mittelalter vollzog sich der Übergang zum Gebäudebrüter. Sie fanden in Nischen im Gemäuer von Kirchen, Klöstern oder Bauernhäusern einen Nistplatz. Heute hat er seine liebe Not mit modernen Häusern, die hermetisch abgeriegelt und energetisch saniert sind.

Verständnis für diese prekäre Situation zu schaffen, ist eines der Anliegen der Retterin. Manchmal mit Erfolg. „Da war die Dame, die sich immer beschwert hat, dass die Vögel unter ihrem Dach alles verkoten. Dann sah sie erstmals einen abgestürzten Jungvogel und nun fährt sie immer die Markise aus, um einen potenziell Sturzgefährdeten weich aufzufangen.“

Etwa 600 Segler waren es bisher – eine beeindruckende Bilanz. Ballerstädt beringt ihre Schützlinge, einer der Mauersegler wurde 2021 in Roth gesichtet, gestartet war er 2017 in Tutzing. „Das heißt, dass diese Vögel nicht zwingend dahin zurückkehren, wo sie geschlüpft oder ausgelassen wurden“, meint Ninon Ballerstädt. Aber es zeigt eben auch, dass ihre liebevolle Starthilfe die Vögel fit für ein langes Leben in der Luft macht.

Starthelfer gesucht

Helfen: Die Vögel benötigen Patenschaften, damit hilft man Dr. Ninon Ballerstädt am meisten. Auch Menschen, die sich engagieren wollen und 2-3 Segler aufpäppeln, sind im Raum München dringend gesucht. Dr. Ninon Ballerstädt: 08158 1548
Link: www.lbv-muenchen.de/unsere-themen-lbv-muenchen/artenschutz-an-gebaeuden

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