So kommt Bewegung in die Heime

von Redaktion

Lebensfreude durch Bewegung: Senioren des Georg-Brauchle-Hauses mit ihrem bestform-Trainer Enzo Giacomi. © Foto: Jens Hartmann

Macht sich für fundiertes Training in Seniorenheimen stark: der Sozialmanager Dr. Johannes Rückert. © Foto: Marcus Schlaf

München – Der Mann liebt es, wenn sich um ihn herum etwas rührt – selbst früh morgens. „Ich habe drei Kinder im Alter von vier, sieben und 10 Jahren. Da ist von Haus aus immer Action“, erzählt Dr. Johannes Rückert schmunzelnd. Am Wochenende geht er mit seiner Rasselbande gerne in die Berge, und die 15 Kilometer ins Büro nimmt der renommierte Sozialmanager so oft wie möglich mit dem Rad in Angriff. Bewegung ist ihm wichtig – aber nicht nur privat, sondern auch beruflich. Die Philosophie, dass Senioren mehr verdient haben als nur Hockergymnastik, Sitztanz oder ein altes verwaistes Trimmradl im Keller, wird in seinem gemeinnützigen Sozialunternehmen gelebt: Das KWA (Kuratorium Wohnen im Alter) gehört zu den Pionieren in der Branche, wenn es darum geht, Bewegung in Seniorenheime zu bringen.

So führte das KWA-Stift Rupertihof am Tegernsee als eine der ersten Einrichtungen das „bestform“ -Programm ein – ein Kraft- und Koordinationstraining für hochbetagte Senioren, das ein Team aus Sportwissenschaftlern der TU München mit Unterstützung der beisheim Stiftung entwickelt hat. Inzwischen trainieren auch die Bewohner des Georg-Brauchle-Hauses des KWA in München zwei Mal wöchentlich an seniorengerechten Geräten, betreut von speziell geschulten Trainern. „Wir wollen bestform in unseren Häusern weiter ausbauen“, sagt Rückert. „Weil es uns wichtig ist, aber vor allem auch deshalb, weil es unseren Bewohnern wichtig ist.“ Sie leben in 14 Wohnstiften und zwei Pflegeeinrichtungen, sieben davon in Bayern.

Krafttraining gegen den Muskelabbau

Der Hintergrund des Bewegungsangebots: Immer mehr Senioren und ihre Angehörigen legen bei der Auswahl eines Seniorenheims Wert auf die Möglichkeit zu trainieren – oft haben sie bereits vor dem Einzug regelmäßig im Fitnessstudio trainiert oder anderweitig Sport getrieben. Eine Triebfeder für viele ältere Menschen ist die Aussicht, sich durch Bewegung Lebensqualität und Selbstständigkeit zu erhalten. „Krafttraining ist wichtig, um dem altersbedingten Muskel- abbau entgegenzuwirken. Er setzt bereits ab etwa 45 Jahren ein und gewinnt mit etwa 75 noch mal an Fahrt“, erklärt der Präventionsmediziner Professor Martin Halle, der „bestform“ mit ins Leben gerufen hat. „Ideal ist eine Kombi aus Kraft-, Ausdauer- und Koordinationstraining, vor allem für ältere Menschen.“ Das bestätigt eine US-Studie mit Teilnehmern über 65. Ein Ergebnis: Wer pro Woche zwei bis drei Mal Krafttraining macht und dazu insgesamt zweieinhalb Stunden spazieren geht oder locker radelt, der senkt sein Sterberisiko um 34 Prozent. Wie stark die Senioren vom speziellen Münchner Trainingskonzept profitieren, werten Halle und sein Team gerade wissenschaftlich aus. Die Ergebnisse der Studie – eine der größten ihrer Art weltweit – sollen rechtzeitig zu einem großen Kongress im Uniklinikum rechts der Isar im Herbst vorliegen. Experten erhoffen sich davon eine Art Initialzündung für mehr qualifizierte Bewegungsprogramme in Seniorenheimen.

Auch Sozialmanager Rückert wird an dem Kongress teilnehmen, in der Hoffnung, noch mehr Kollegen für „bestform“ und andere fundierte Trainingsangebote für Senioren zu begeistern. Er weiß, dass noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten ist. „Am Ende des Tages sind Programme wie bestform eine Frage der Finanzierung. Einen Trainingsraum mit hochwertigen Geräten auszustatten, kostet einen Betrag im deutlich oberen fünfstelligen Bereich – und die Personalressourcen kommen noch dazu.“ Genau an diesen beiden Punkten scheitert die Umsetzung in sehr vielen Fällen. Denn während Rückert als Betreiber von Wohnstiften die Kosten auf den Mietpreis umlegen kann, müssen die Träger von stationären Pflegeeinrichtungen vor allem mit den Krankenkassen verhandeln. „Wir haben die Möglichkeit, uns ganz unkompliziert mit unserem Bewohnerbeirat zusammenzusetzen. Und wenn wir gemeinsam der Meinung sind, dass uns bestform die Investition wert ist, dann setzen wir es um.“ Dagegen blitzen viele reine Pflegeheimbetreiber bei den Kassen ab. „Die Kassen sind notorisch finanziell knapp bei Kasse. Wenn solche Angebote nicht in den Vergütungsvereinbarungen stehen, dann gibt es dafür kein Geld – und die Kollegen bleiben auf den Kosten sitzen“, erklärt Rückert. Er findet das nicht nur schade für die Senioren, sondern auch mit Blick auf unser Versicherungssystem strategisch falsch. „Die Kassen haben einen gesetzlichen Präventionsauftrag, auch im Bereich der Pflege. Um diesem Auftrag gerecht zu werden, müssten sie eigentlich auch qualifizierte Bewegungsprogramme für Senioren fördern“, so der KWA-Vorstand.

Dabei denkt Rückert übrigens nicht nur an die Bewohner von Heimen – im Gegenteil: „Man darf ja nicht vergessen, dass nur 18 Prozent der Pflegebedürftigen in Pflegeheimen betreut werden. Im Umkehrschluss bedeutet das: Viele Menschen, die zu Hause älter werden, haben nichts davon, wenn wir in Heimen ein Präventionssystem aufbauen. Für sie müsste es alternative und vor allem praktikable Angebote geben. Eine Möglichkeit wäre beispielsweise, Trainingsprogramme wie bestform auch als APP anzubieten“, schlägt Rückert vor. „Gesundheitsvorsorge für alte Menschen sollte schon viel früher als im Heim ansetzen.“

Diesen Grundsatz teilt auch Präventionsmediziner Halle von der TU München. Sein Credo: „Wer sich regelmäßig bewegt, steigert seine Lebensqualität und seine Leistungsfähigkeit, leidet seltener an chronischen Erkrankungen, etwa des Herz- Kreislauf-Systems, Diabetes oder Demenz, ist körperlich weniger eingeschränkt, bleibt geistig fit, hat mehr soziale Kontakte und eine höhere Lebenserwartung.“

Training kennt keine Altersgrenze – und auch schwer kranke Menschen können ihre persönliche Situation dadurch nachweislich verbessern, das hat sich in wissenschaftlichen Studien beispielsweise mit Dialysepatienten herauskristallisiert. Allerdings brauchen gerade hochbetagte Senioren beim Training Unterstützung. Vor diesem Hintergrund wird der Personalmangel in der Pflege zum Problem, wie auch Sozialmanager Rückert bestätigt. „Zurzeit schließen Heime, weil sie die Personalvorgaben nicht mehr erfüllen können. Im vergangenen Jahr ist das Platzangebot in Heimen erstmals seit Einführung der Pflegeversicherung vor rund 30 Jahren gesunken.“ Kein Wunder, dass viele Heimmanager beklagen, sie müssten erst mal die Basispflege sicherstellen, bevor sie Mitarbeiter für die Trainingsbetreuung abstellen können.

Trotzdem finden sich immer wieder Lösungen, vorausgesetzt Bewegungsprogramme stehen in der Prioritätenliste weit genug oben – wie beispielsweise im KWA-Stift Rupertihof am Tegernsee. „Heute ist bestform aus dem Angebot für unsere Senioren nicht mehr wegzudenken. Wir stehen als Team voll hinter diesem Konzept, weil es kein Alibi-Programm ist, sondern für unsere Senioren einen echten Mehrwert bietet“, betonte Stiftsdirektorin Lisa Brandl-Thür bei einem Symposium der TU München.

KWA-Chef Rückert hofft darauf, dass diese Erkenntnis sich auch bei den Krankenkassen als Kostenträgern noch durchsetzen wird. „Der Haken ist, dass heute im Wesentlichen Stellen finanziert werden und keine Ergebnisse. Dabei sind die Kassen eigentlich geübt darin, auf der Basis von wissenschaftlichen Studien Präventionsangebote anzubieten, wenn diese nachweislich wirken und Behandlungskosten einsparen. Wir kennen das aus dem Bereich der Krankenversicherung beispielsweise von der Krebsvorsorge.“ Insofern könnten die Ergebnisse der bestform-Studie der TU München eine Steilvorlage für mehr Prävention im Alter liefern – damit Bewegung in alle Seniorenheime kommt.

Artikel 7 von 7