Die Forschung entwickelte bahnbrechende neue Medikamente zur Vorbeugung. © Sebastian Gollnow/dpa
Arzt und Forscher: Prof. Christoph Spinner. © B. Claße/TUM
München – Noch bis Freitag findet die Welt-Aids-Konferenz in München statt. Fünf Tage lang werden sich Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Politik, Betroffenengruppen und Beratungsorganisationen zum Thema HIV austauschen. Lokaler Vorsitzender der Konferenz ist Prof. Christoph Spinner, Infektiologe am Universitätsklinikum rechts der Isar der Technischen Universität München (TUM). Im Interview spricht der Arzt und Forscher darüber, warum die Konferenz auch nach mehr als 40 Jahren Aids notwendig ist, aber auch über neueste Forschungsergebnisse, die Mut machen.
HIV ist inzwischen beherrschbar. Braucht es also die 25. Welt-Aids-Konferenz mit 10 000 Experten?
Ja, unbedingt! In Deutschland gibt es rund 96 400 Betroffene, die Zahl der jährlichen Neuinfektionen ist aber jetzt wieder leicht angestiegen von 1900 im Jahr 2022 auf 2200 im Jahr 2023. Stark steigen die Zahlen in anderen Regionen der Welt: In Afrika beispielsweise zwischen 2010 und 2019 um über 20 Prozent, und auch für Osteuropa wird ein deutlicher Anstieg berichtet.
Wie kommt es zur so radikalen Verschlechterung in Osteuropa?
Das hat sehr viel damit zu tun, dass Übertragungswege wie Drogengebrauch und Sexarbeit dort immer stärker kriminalisiert werden. Dort haben besonders gefährdete Menschen oft keinen Zugang zu geeigneter Information, Prävention und Therapien oder werden stigmatisiert. So kann sich HIV ausbreiten.
Könnten Medikamente den Betroffenen helfen?
Eine Erkrankung mit HIV ist mittlerweile gut behandelbar und das erworbene Immunschwächesyndrom kann wirksam verhindert werden. Mit modernen Medikamenten haben die Betroffenen eine potenziell normale Lebenserwartung und können das Virus auch nicht mehr weitergeben. Doch ist der Zugang zur Therapie auf der Welt teilweise erheblich eingeschränkt.
Wie lässt sich die Situation verbessern?
Entscheidend ist, dass die politischen Mandatsträger erreicht werden. Zum Glück ist die Bedeutung des Themas vielen Politikern bewusst – bei der Eröffnungsveranstaltung von Aids 2024 wird auch Bundeskanzler Olaf Scholz dabei sein. Natürlich gibt es auch in Osteuropa Unterstützer im Kampf gegen HIV und Aids. Das zeigt das Beispiel Polen. Miłosz Parczewski, Präsident der polnischen Aids-Forschungs-Gesellschaft, ist einer der Hauptredner auf der Aids-Konferenz.
Welche Rolle spielt das Thema Ausgrenzung von Betroffenen für Deutschland?
Auch in Deutschland und vor allem in Bayern war der Umgang mit HIV nicht immer einfach. In den 80er Jahren wurden Menschen mit HIV ausgegrenzt. Es brauchte viel politisches Engagement auf Bundesebene, bis sich die Vernunft durchsetzte. Schließlich galt der Kampf der Krankheit und nicht den Betroffenen – mit Aufklärung, Zugang zur Diagnostik und Therapie und wirksamer Prävention.
Also ist mittlerweile alles gut hierzulande?
Die Neuinfektionszahlen in Deutschland konnten erheblich reduziert werden. Zuletzt sind sie aber wieder leicht gestiegen, vor allem bei Drogengebrauchenden und Heterosexuellen. Zeit zum Ausruhen ist noch nicht. Nach wie vor werden Betroffene im Alltag stigmatisiert – von Mitmenschen und teilweise sogar in Arztpraxen.
Wird HIV in absehbarer Zeit heilbar sein?
Es gab in den vergangenen Jahren eine Handvoll Fälle, in denen das Virus bei Infizierten nicht mehr nachweisbar war. Bisher gelang das aber nur durch Stammzelltransplantationen. Dieser Ansatz ist leider nicht in der Breite anwendbar, weil sehr viele Nebenwirkungen auftreten.
Gibt es eine Art Impfung gegen HIV, damit Gesunde gar nicht erst erkranken?
Durch die vorbeugende Einnahme von antiviralen Medikamenten (PrEP) gibt es heute für Risikogruppen eine wirksame Präventionsstrategie. Durch die Kombination aus einer solchen Prophylaxe, häufigeren HIV-Tests und universellem Therapiezugang konnten Neuinfektionszahlen vielerorts deutlich gesenkt werden – in London beispielsweise um 80 Prozent in nur zwei Jahren.
Wie funktionieren die vorbeugenden Medikamente?
Sie helfen nur, wenn die Wirkstoffe wirklich regelmäßig genommen werden. Studien zeigen leider, dass dies in manchen Regionen, insbesondere in Afrika, schlechter klappt. Neuerdings gibt es aber Depotpräparate, mit denen keine tägliche Einnahme mehr nötig ist. Es gibt zudem bahnbrechende Neuerungen: Ein Medikament, das halbjährlich gespritzt werden muss, zeigt in aktuellen Studien sogar bis zu hundert Prozent Schutz vor Neuinfektionen! Das ist vielversprechend. Allerdings erlebten wir zuletzt mehrfach, dass neue Präparate zur Therapie und Prävention in Deutschland aus Kostengründen nicht mehr eingeführt werden. Insofern stellt sich die politische Frage, was uns als Gesellschaft Innovationen im medizinischen Bereich wert sind. Hier muss die Politik dringend handeln.
Wie hat sich die Behandlung von HIV verändert?
Ganz allgemein gesagt war Aids früher ein Todesurteil. Das muss es nicht mehr sein. Die moderne antivirale Therapie ist hocheffektiv, erlaubt eine Erholung des Immunsystems – und ist zugleich sehr gut verträglich. In der Regel reicht es heute, eine Tablette einmal täglich einzunehmen. In der Anfangszeit war es oft noch eine Handvoll Tabletten bis zu dreimal täglich – bei deutlich schlechterer Verträglichkeit. Das hat auch unsere Sprechstundenerfahrungen verändert: Neben HIV stehen oft die anderen Krankheiten der Betroffenen im Vordergrund. Das heißt allgemeine Gesunderhaltung ist mindestens genauso wichtig wie HIV selbst.
Was ist das Besondere am interdisziplinären HIV-Zentrum (IZAR) am Uniklinikum rechts der Isar?
Wir behandeln unsere Patienten ganzheitlich und multiprofessionell. Neben Internisten, Dermatologen, Psychosomatikern und Virologen unterstützen wir sie auch, wenn eine Behandlung in anderen Kliniken nötig ist. Es ist uns wichtig, die ganzheitliche Gesundung im Blick zu behalten. Und natürlich unterhalten wir ein Netzwerk zu den niedergelassenen Kollegen.
SUSANNE SASSE