Frauen, die an einem Lipödem leiden, stehen unter Druck: Sie kämpfen mit Druckempfindlichkeit, mit Schmerzen und mit der Fettverteilung an ihrem Körper. © PantherMedia
München – Sie fallen oft durch ihre dicken, säulenförmige Arme und Beine auf – der Oberkörper selbst ist meist schlank. Die Rede ist von Menschen – meist sind es Frauen – die unter einem Lipödem leiden. Laut dem Deutschen Ärzteblatt sind bis zu zehn Prozent aller Frauen in Deutschland von dieser Krankheit betroffen, das wären fast vier Millionen Frauen. Viele von ihnen leiden still und haben nie eine umfassende Diagnose und Behandlung erhalten. Die unproportionale Fettverteilung beim Lipödem führt zu starken Schmerzen und Druckempfindlichkeit in den betroffenen Bereichen.
Dass durch die ständigen Schwellungen die Bewegung beeinträchtigt und damit die Lebensqualität rein physisch erheblich eingeschränkt ist, liegt auf der Hand. Doch mindestens genauso schlimm ist für Betroffene der psychische Druck. Sie leiden oft massiv unter den als unästhetisch empfundenen Schwabbelarmen und dem herunterhängenden Fettgewebe an den Beinen. Was können Betroffene tun? Darüber haben wir mit Dr. Gottfried Hesse aus der Münchner Praxis Dermazent „Dermatologie im Zentrum“ an der Hackenstraße gesprochen. Er hat in seiner Arbeit über Jahrzehnte hunderte von Lipödem-Patientinnen betreut, beraten und behandelt.
Was genau ist das Lipödem?
Das Lipödem ist eine krankhafte Fettverteilungsstörung, bei der sich das Fettgewebe symmetrisch an Beinen und Armen vermehrt. Ein entscheidendes Kriterium für die Diagnose ist die Schmerzempfindlichkeit der betroffenen Extremitäten. Patienten berichten oft über eine erhöhte Druckempfindlichkeit, insbesondere an den Oberschenkeln und Oberarmen. Es gibt keine spezifischen Laborwerte oder Ultraschallbefunde, die das Lipödem eindeutig nachweisen können. Entscheidend ist die klinische Diagnose, die basierend auf den Symptomen und der Krankengeschichte der Patienten getroffen wird.
Welche Symptome hat die Krankheit?
Typische Symptome des Lipödems sind symmetrische Fettpolster an Beinen und Armen, die nicht durch Diäten oder Sport reduziert werden können. Betroffene klagen oft über Schmerzen und eine erhöhte Druckempfindlichkeit. Im fortgeschrittenen Stadium kann es zu starken Schwellungen und Bewegungseinschränkungen kommen. Die Haut über den betroffenen Bereichen ist oft kühl und neigt zu Blutergüssen.
Was sind die Ursachen für ein Lipödem?
Das Lipödem betrifft fast ausschließlich Frauen; Männer sind nur in sehr seltenen Fällen betroffen. Es gibt Hinweise auf eine genetische Veranlagung, da die Krankheit oft familiär gehäuft auftritt. Hormonelle Veränderungen, wie sie beispielsweise während der Pubertät, der Schwangerschaft oder der Menopause vorkommen, können die Krankheit auslösen oder verschlimmern. Obwohl die genauen Mechanismen noch nicht vollständig verstanden sind, ist klar, dass genetische und hormonelle Faktoren dabei eine zentrale Rolle spielen.
Wie wird das Lipödem behandelt?
Die Behandlung des Lipödems erfordert einen multimodalen Ansatz. Die wichtigste Maßnahme ist die Gewichtsreduktion und das Halten eines stabilen Gewichts. Kompressionstherapie, beispielsweise durch das Tragen von Kompressionsstrümpfen, kann die Symptome lindern und die Lebensqualität verbessern. Zudem sind manuelle Lymphdrainagen und spezielle Bewegungstherapien, wie Schwimmen oder Radfahren, hilfreich. In schwereren Fällen kann eine Fettabsaugung, eine sogenannte Liposuktion, notwendig sein, um die Beschwerden zu reduzieren. Es ist jedoch wichtig zu wissen, dass eine einmalige Operation selten ausreicht. Oft sind mehrere Eingriffe nötig, und die Patienten müssen weiterhin auf ihr Gewicht achten und Kompressionstherapien durchführen.
Welche Rolle spielen Ernährung und Sport beim Lipödem?
Eine ausgewogene Ernährung und regelmäßige Bewegung sind essenziell für das Management des Lipödems. Patienten sollten darauf achten, ihr Gewicht zu halten, da jede zusätzliche Gewichtszunahme das Lipödem verschlimmern kann. Sportarten wie Schwimmen und Radfahren sind besonders zu empfehlen, da sie den Lymphfluss unterstützen und die Druckempfindlichkeit verringern. Intensive Ausdauersportarten sollten hingegen vermieden werden, da sie das Gewebe zusätzlich belasten können.
Sind tatsächlich vor allem Frauen betroffen?
Ja, das zeigt die Erfahrung. Hauptsächlich sind Frauen betroffen, und das Lipödem tritt häufig erstmals in hormonell belastenden Lebensphasen auf, wie Pubertät, Schwangerschaft oder Menopause. Es gibt auch familiäre Häufungen, was auf eine genetische Prädisposition hinweist.
Wie gefährlich ist die Krankheit?
Das Lipödem selbst ist nicht lebensbedrohlich, kann jedoch die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen. Durch die ständige Schwellung und das zusätzliche Gewicht an Beinen und Armen kann es zu sekundären Erkrankungen wie Gelenkproblemen oder einer chronischen Lymphstauung, sogenannten Lipolymphödem, kommen. In schweren Fällen kann das Lipödem zu erheblichen Bewegungseinschränkungen und psychosozialen Belastungen führen.
Gibt es Möglichkeiten zur Prävention?
Eine spezifische Prävention des Lipödems ist bisher nicht bekannt. Da die genauen Ursachen noch nicht vollständig geklärt sind, kann man die Krankheit nicht gezielt verhindern. Es ist jedoch ratsam, auf ein gesundes Körpergewicht zu achten und regelmäßige Bewegung in den Alltag zu integrieren, um das Risiko einer Verschlimmerung zu minimieren.
Was raten Sie Betroffenen, die den Verdacht haben, an einem Lipödem zu leiden?
Wenn Sie den Verdacht haben, an einem Lipödem zu leiden, sollten Sie nicht zögern, einen spezialisierten Arzt aufzusuchen. Eine frühzeitige Diagnose und ein gezielter Behandlungsplan sind entscheidend, um die Symptome zu lindern und die Lebensqualität zu erhalten. Wenden Sie sich an einen Facharzt mit lymphologischem oder phlebologischem Hintergrund, der Erfahrung mit der Diagnose und Behandlung des Lipödems hat. Es ist wichtig zu wissen, dass das Lipödem keine rein ästhetische Erkrankung ist und eine umfassende medizinische Betreuung erfordert.