Der Aus-Schalter für den Schmerz

von Redaktion

Große Hoffnung für viele Patienten: Die Neurochirurgin Dr. Andrea Prescher mit dem Schmerzschrittmacher. © München Klinik

Der große Moment: Hier wird Raphaela Bauer gerade der Schmerzschrittmacher implantiert. Sie war während der kurzen OP die ganze Zeit ansprechbar, spürte keinerlei Schmerzen und ging am selben Tag wieder heim. © München Klinik

München – Viele Patienten sind physisch und psychisch am Ende, wenn sie nach Jahren großer Schmerzen, unzähliger Therapien und enttäuschter Hoffnungen schließlich als „austherapiert“ gelten. Chronische Rücken- und Beinschmerzen, aber auch die gefürchtete Schaufensterkrankheit oder eine austherapierte diabetische Polyneuropathie können so schlimm werden, dass an einen normalen Alltag überhaupt nicht mehr zu denken ist. Viele der Betroffenen wie Raphaela Bauer (siehe unten) haben oft bereits eine multimodale Schmerztherapie bzw. mehrere Operationen hinter sich. Genau diese Menschen fallen in das Fach der Neurochirurgin Dr. Andrea Prescher, Oberärztin in der Klinik für Neurochirugie in der München Klinik Bogenhausen und Expertin für Schmerzschrittmacher. Sie implantiert regelmäßig die neueste Generation der sogenannten Rückenmarkstimulatoren (SCS-Systeme) zur Behandlung von chronischen Rücken- und Beinschmerzen: „Damit können wir Betroffenen ein Leben mit deutlich weniger Schmerzen und höherer Lebensqualität ermöglichen. Eine deutliche Schmerzlinderung von häufig 70 bis 80 und manchmal sogar über 90 Prozent ist damit absolut realistisch“, freut sich die Spezialistin.

■ Klein, aber oho

Das Gerät ähnelt in Form und Aufbau einem Herzschrittmacher. Das Prinzip ist einfach: Der Schmerzschrittmacher ist ein operativ eingesetzter Neurostimulator. Er sendet über einen dünnen Draht (die Elektrode) elektrische Signale an die Nerven am Rückenmark und hindert damit bestimmte Nerven daran, die Schmerzinformation an das Gehirn weiterzuleiten. Das System unterbricht bzw. schwächt damit das Schmerzsignal.

■ Testphase 1

Vor der Implantation stehen Gespräche und Untersuchungen. Nur so kann Dr. Prescher beurteilen, ob das Verfahren für einen Patienten infrage kommt. Gibt sie grünes Licht, beginnt die Testphase: „Wir implantieren in einem längeren Eingriff unter Vollnarkose zwei Elektroden zur epiduralen Stimulation in den Spinalkanal und verbinden sie mit einem Testgerät außerhalb des Körpers. Eine Woche lang können Patienten so das Leben ohne Schmerz schon mal testen.

■ Testphase 2

Es folgt der weniger beliebte Rückwärtstest: Das Gerät wird entfernt, der Schmerz kommt zurück. Wenn mit dem Gerät eine Schmerzreduktion um mindestens 60 Prozent erreicht wird, war der Test erfolgreich. Den Erfolg sieht Dr. Prescher auf den ersten Blick: „Ich sehe es am Gesichtsausdruck, wenn ich nach der OP ins Zimmer komme. Dann ist da dieses Lächeln“, so die Oberärztin, die sich jedesmal mit ihren Patienten freut. Rund 80 Prozent der Schmerzpatienten profitieren laut Studien – dies deckt sich auch mit den Erfolgszahlen in Bogenhausen. Zu diesen Glücklichen zählt auch Raphaela Bauer: „Ich konnte mich einfach wieder bücken.“

■ Der letzte Eingriff

Nach der erfolgreichen Testphase erhalten die Patienten dann in einem zweiten, ambulanten Eingriff unter Lokalanästhesie ihren Schmerzschrittmacher und können das Gerät fortan im Alltag selbst per Smartphone und App steuern. Bei der Nachsorge zehn Wochen später erfolgt noch einmal eine Feinjustierung der Geräteeinstellungen. Bei allen Eingriffen und Gesprächen ist übrigens immer ein Medizinprodukte-Berater dabei, der sich um Technik und Programmierung kümmert.

■ Die Modell-Auswahl

Die verschiedenen Schmerzschrittmacher-Modelle unterscheiden sich in ihren Stimulationsformen. Einige verursachen ein Kribbeln im Schmerzbereich, das Patienten mit Beinschmerzen hilft. Stimulationsformen ohne Kribbeln eignen sich für Menschen mit chronischen Rückenschmerzen. Diese Systeme sind häufig wiederaufladbar. Das neueste Modell – erst seit diesem Jahr verfügbar – erhielt Raphaela Bauer als eine der ersten bayerischen Patienten. Das aufladbare Gerät verfügt sogar über mehrere Stimulationsformen und verursacht kein Kribbeln. Über die sogenannte Closed Loop Funktion misst der Stimulator die biologischen Signale des Menschen und passt die Stimulation sofort an seine Bewegung an – egal, ob man sich anlehnt, liegt oder läuft. Rund um die Uhr misst der Loop die Aktivierung der Neuronen im Rückenmark. Ein Zuviel oder Zuwenig an Stimulation, die sich früher oft als unangenehmes Kribbeln äußerte, wird dadurch verhindert.

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