Prof. Hana Algül forscht mit Medikamenten. © Susanne Sasse
Krebspatient Jörg von Rohland im Oktober 2021. © privat
„Ohne meine Frau Cuc hätte ich es nicht geschafft“, sagt Jörg von Rohland. Dieses Foto zeigt das Paar an Pfingsten 2024 im Frankreich-Urlaub. Cuc Nguyen-von Rohland hat ihren Mann auch in der Corona-Zeit zu allen Chemotherapien begleitet. Oft wartete sie stundenlang im Auto, weil sie das Krankenhaus wegen der strengen Schutzvorschriften nicht betreten durfte. © privat
München/Weilheim – Der 9. Mai fühlt sich für Jörg von Rohland an wie ein zweiter Geburtstag. An diesem Tag erfuhr der 53-jährige Weilheimer, dass es doch noch Hoffnung gab in seinem bis dato schier aussichtslosen Kampf gegen den Bauchspeicheldrüsenkrebs. Die erlösende Information bekam er von seinem Arzt Prof. Hana Algül, dem Leiter des Krebszentrums im Uniklinikum rechts der Isar. Er informierte seinen Patienten, dass die neuartige Behandlung im Rahmen einer Studie bei ihm wirkt. Dabei handelt es sich um die spezielle Variante einer Immuntherapie. „Nach einer langen Odyssee gab es endlich auch mal ermutigende Nachrichten“, erzählt der Vater dreier Töchter. Er kämpft gegen eine aggressive Form von Bauchspeicheldrüsenkrebs, die bereits Metastasen gestreut hatte.
Der Krebs schlug Anfang 2021 wie ein Blitz in sein Leben ein. Er hatte sich eigentlich immer gesund und fit gefühlt. Doch plötzlich waren da diese Rückenschmerzen. Jörg von Rohland, damals noch Redakteur bei den Schongauer Nachrichten, ging zu seiner Hausärztin, versuchte die Schmerzen mit Akkupunktur loszuwerden. „Doch bei einer Ultraschalluntersuchung zeigte sich etwas Verdächtiges in meiner Leber“, erinnert er sich. Die Schock-Diagnose: Diese Auffälligkeit entpuppte sich als Leber-Metastase – aus einem Tumor in der Bauchspeicheldrüse. „Es fühlte sich an wie mein Todesurteil – nur ein paar Tage nach meinem 50. Geburtstag. Ich googelte und errechnete mir eine Lebenserwartung von vielleicht noch einem Jahr.“
Aber Jörg von Rohland nahm den Kampf gegen den Krebs an. Zunächst nahm er an einer klinischen Studie mit neuen Medikamenten teil. Zwar schrumpften die Metastasen. Doch die Nebenwirkungen waren fatal: Thrombosen im Arm und in der Brust, die Therapie wurde abgebrochen. Jörg von Rohland stand drei weitere Chemotherapien durch. Im Frühjahr 2022 ein Hoffnungsschimmer: Er kehrte in die Redaktion zurück. Doch dann der Rückschlag: Eine Metastase in der Leber war rasant gewachsen – am Ende hatte der Tumor einen Durchmesser von lebensbedrohlichen zwölf Zentimetern.
Die Wende brachte ein Artikel in unserer Zeitung. Darin berichtete Krebsexperte Prof. Hana Algül von neuen Waffen gegen den Krebs. Der engagierte Münchner Mediziner konnte auch Jörg von Rohland helfen. Der Schlüssel zum Erfolg war ein genetischer Test des Tumors. Er lieferte Erkenntnisse darüber, an welchen Schwachstellen der Tumor den Medizinern Angriffspunkte bot.
Diese aufwendige Analyse dauerte vier Wochen. „Für manche Patienten mit Krebs im Endstadium und einem schlechten Allgemeinzustand sind schon diese vier Wochen eine sehr lange Zeit“, weiß Algül. Jörg von Rohland und seine Frau nutzten sie, um vielleicht ein letztes Mal gemeinsam die Verwandtschaft in Vietnam zu besuchen. „Ich zündete Räucherstäbchen an und spendete einem buddhistischen Tempel ein Spanferkel“, erinnert sich Jörg von Rohland. „Ich hatte das Gefühl, dass uns die Zeit davonrennt“, sagt Krebsexperte Algül.
Aus den Ergebnissen der Molekularanalyse zeichnete sich ab, dass der Krebs das Immunsystem von Jörg von Rohland lähmte. Prof. Algül entschied sich schnell für den sogenannten Off-Label-Use (siehe unten) des Krebsmedikaments Pembrolizumab. Der Arzt sah eine 50:50-Chance, dass es bei von Rohland wirken könnte: „Es war unbedingt einen Versuch wert.“
Algül wollte nicht abwarten, ob die Krankenkasse die Kostenübernahme zusagen würde: „Es stand Spitz auf Knopf und wir mussten anfangen.“ Zum bürokratischen Hintergrund: Krankenkassen haben vier Wochen Zeit, um zu entscheiden, ob sie die Kosten einer beantragten Therapie übernehmen. In von Rohlands Fall lehnte die gesetzliche Kasse ab. Doch das schreckte den Krebsspezialisten nicht ab. Er kennt dieses Problem schon: „Eine Immuntherapie kostet für einen einzelnen Patienten zwischen 60 000 und 100 000 Euro pro Jahr. Und wenn es keine Studien gibt, die der Behandlung große Chancen auf Erfolg einräumen, dann ist eine Absage nachvollziehbar.“ Die Experten am Klinikum rechts der Isar aber waren überzeugt, dass die Therapie wirksam sein kann. Algül: „Wir entschieden uns, das Kostenrisiko zu übernehmen. Hätte die Behandlung nicht gewirkt, so wären wir wohl auf den Kosten sitzen geblieben.“
Aber die Ärzte lagen goldrichtig. Die Immuntherapie schlug an, ließ einige Metastasen sogar verschwinden. Und der große Tumor in der Leber war von zwölf Zentimetern Durchmesser auf unter acht Zentimeter geschrumpft. So gab es dann Ende Juni schließlich doch grünes Licht von der Krankenkasse: Die Behandlungskosten werden bis Oktober 2025 übernommen.
Ein Großcousin von Jörg von Rohland bekam zur gleichen Zeit wie er die Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs. Er ist inzwischen gestorben. „Ich war offen für Studien und die neusten Medikamente – ich habe alles probiert und alles überlebt“, sagt Jörg von Rohland und fügt an, dass auch sein Großvater an Bauchspeicheldrüsenkrebs gestorben war. „Bei solch einem schnellen Verlauf und einer derart familiären Häufung sollte ein Tumor immer per Biopsie analysiert und molekular auf Schwachstellen getestet werden“, empfiehlt Algül. Im Fall von Jörg von Rohland war das Immunsystem die Schwachstelle – der Krebs hatte es gelähmt.
Dagegen half das Medikament Pembrolizumab – ein sogenannter Checkpoint-Inhibitor. Vereinfacht erklärt legt der immuntherapeutische Wirkstoff einen Rezeptor an den Krebszellen lahm, mit dem es diesen gelingt, das körpereigene Immunsystem zu blockieren. Ist diese Blockade aufgehoben, kann das Immunsystem den Krebs wieder bekämpfen. Das Medikament ist zugelassen unter anderem für bestimmte Arten von Lungenkrebs, Lymphknotenkrebs und schwarzen Hautkrebs. Aber eben – derzeit – nicht für Bauchspeicheldrüsenkrebs.
■ Hoffnung auf Krebs-Impfstoff
„Wir Ärzte sehen es als unsere Pflicht, schnell erfolgversprechende Therapieoptionen auszuloten und dann alles zu versuchen, wenn wir mit einem Medikament eine realistische Chance sehen, um das Leben des Patienten zu kämpfen“, sagt Algül. Jörg von Rohland ist ihm unendlich dankbar: „Mir geht es viel besser, und mit den Nebenwirkungen komme ich sehr gut zurecht“, sagt er. Und kämpft weiter: „Große Hoffnungen macht mir der Impfstoff gegen Krebs, den das Unternehmen Biontech derzeit entwickelt.“ Das Unternehmen, das den ersten Corona-Impfstoff entwickelte, testet derzeit Vakzine gegen diverse Krebsarten. Jörg von Rohland verfolgt die Fortschritte und sagt: „Ich wäre gerne Teilnehmer der zweiten Studienphase. Wenn es ums Überleben geht, dann greift man einfach nach jeder Chance.“