Bewegung ist keine Frage des Alters: Felizitas trainiert in der Seniorenresidenz Georg-Brauchle-Haus gemeinsam mit Betreuer Enzo Giacomini. © Fotos: Jens Hartmann, Marcus Schlaf, SSKM, dpa
München – Unsere Gesellschaft wird immer älter, das birgt personell, finanziell und organisatorisch große Herausforderungen: Nach Schätzungen von Experten werden 2055 bis zu sieben Millionen Bundesbürger auf Pflege angewiesen sein. Vor diesem Hintergrund machen sich Wissenschaftler der Technischen Universität München (TUM) für eine Reform der Betreuung hochbetagter Menschen stark: „Wir brauchen in Senioreneinrichtungen hochwertige Sport- und Bewegungsprogramme. Alte und sogar schwer kranke Menschen profitieren sehr stark von einem betreuten Kraft-, Koordinations- und Ausdauertraining an speziellen, seniorengerechten Geräten. Es hilft den Teilnehmern dabei, sich ein gewisses Maß ihrer Selbstständigkeit länger zu erhalten und in vielen Fällen länger gesund zu bleiben. Die vielen positiven Aspekte konnten wir jetzt auch wissenschaftlich nachweisen“, erklärt der Leiter der präventiven Sportkardiologe am TUM Klinikum, Prof. Martin Halle.
Der Hintergrund: In einer der weltweit größten Studien ihrer Art mit dem Titel „bestform – Sport kennt kein Alter“ haben Sportwissenschaftler der TU München erforscht, welche Effekte regelmäßiges Gerätetraining in Senioreneinrichtungen für die Gesundheit der Teilnehmer bringt. „Dabei bestätigte sich: Körperliches Training fördert die Physis und die Psyche – das gilt auch im Alter. Bewegung verbessert das Wohlbefinden und senkt das Risiko unter anderem für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes oder Demenz. Wer trainiert, ist körperlich weniger eingeschränkt, bleibt geistig fit, hat mehr soziale Kontakte und eine höhere Lebenserwartung“, berichtet Halle.
Die detaillierten Ergebnisse der Studie will das Wissenschaftler-Team der TU München am 11. Oktober bei einem Kongress im TUM-Klinikum rechts der Isar vorstellen. „Wir hoffen, dass die Studie dazu beiträgt, den Präventionsgedanken auch bei der älteren Generation und bei den Verantwortlichen der Seniorenheime und der Kostenträger stärker ins Bewusstsein zu rufen.“
Unterstützung erhalten die TUM-Experten auch vom Bayerischen Wissenschaftsminister Markus Blume, der München als führenden Standort für Spitzenmedizin und Forschung ausbauen will. „Bei den Therapien der Zukunft geht es darum, Krankheiten zu verhindern, bevor sie überhaupt ausbrechen, oder sie zumindest so lange wie möglich hinauszuzögern. Prophylaxe, Prävention und personalisierte Medizin werden in der Zukunft entscheidend sein. Deswegen unterstützen wir solche Forschungsvorhaben massiv“, sagte Blume unserer Zeitung.
Die Münchner Wissenschaftler hoffen, dass von ihren Studienergebnissen eine Initialzündung für ganz Deutschland ausgehen könnte. Als Paradebeispiel für den großen Nutzen regelmäßigen Trainings führen sie den gefürchteten Oberschenkelhalsbruch nach Stürzen an. Davon sind in Deutschland jährlich etwa 120 000 Senioren betroffen. „Nach einem Sturz sinkt die Lebensqualität oft dramatisch. Die Betroffenen haben Angst vor weiteren Stürzen, benötigen Pflege und ziehen sich zurück“, weiß Halle. Kraft- und Koordinationstraining kann dieses Risiko massiv verringern. „Mit dem Alter verliert der Körper schnell an Muskulatur, die Knochen werden poröser. Durch Krafttraining lassen sich die großen Muskelgruppen und die Rumpfmuskulatur stärken. Muskeln sind Stabilisatoren für Gelenke und Wirbelsäule. Wer mehr Muskeln hat, hat auch dichtere, stabilere Knochen. Um Stürzen im Alter vorzubeugen, ist es wichtig, auch die Gleichgewichtsfähigkeit zu trainieren – mit einer guten Koordination können Sie sich zum Beispiel bei einer Falte im Teppich besser abfangen.“
Im Alter gehe es nicht mehr darum, Höchstleistungen zu erbringen oder Rekorde zu brechen, betont der frühere Weltklasse-Skifahrer Christian Neureuther: „Entscheidend ist vielmehr, dass man neugierig bleibt. Das gilt für alle Lebensbereiche, auch beim Thema Bewegung. Auch in einer Senioreneinrichtung kann man trainieren, jede Menge Spaß haben und körperlich und geistig davon profitieren.“
Im Rahmen der TU-Studie sind bereits in mehreren oberbayerischen Seniorenheimen Trainingsräume eingerichtet worden. Unterstützt wird das Großprojekt unter anderem von der Beisheim Stiftung und von der Stadtsparkasse München. „Das bestform-Programm hilft den Menschen, ihren Lebensabend aktiv und gesund zu gestalten“, sagte Stefan Hattenkofer, Vorstandsmitglied der Stadtsparkasse, unserer Zeitung. „Experten können meinen persönlichen Eindruck sicher mit Fakten untermauern. Ich beobachte in der Generation meiner Eltern große Unterschiede in der körperlichen Fitness und auch bei der Disziplin, Sport zu treiben. Oft ist tatsächlich unklar, welches Trainingsmaß im Alter gut ist. Ein betreutes Training beantwortet offene Fragen und motiviert den inneren Schweinehund.“ Den über 400 Studienteilnehmern zollt der Vorstand der Stadtsparkasse München großen Respekt: „Gratulation an alle, die drangeblieben sind! Ich glaube, jeder Mensch entscheidet sich, ob er das Alter als Einschränkung oder als Herausforderung betrachtet. Wer sich für den Sport entscheidet, wählt die Herausforderung, die sicher auch im Alter guttut. Und es ist nie zu spät, damit anzufangen.“