Psychotherapie: Angst vor Stigma

von Redaktion

Eine Psychotherapie hilft in Krisen. Leider ist die Suche nach einem Therapieplatz für die Betroffenen oft nicht einfach und hinzu kommt, dass Menschen, die psychologische Hilfe in Anspruch nehmen, noch immer stigmatisiert werden. © Panthermedia

München – Depressionen sind, neben einer Demenz, die häufigste psychische Erkrankung bei älteren Menschen. So erkranken etwa 7,2 Prozent der Menschen über 75 Jahren an einer Depression. Auch viele Arbeitnehmer leiden unter Depression, Burnout oder auch Angststörungen. Sogar bei jungen Menschen haben sich Depressionen deutlich ausgebreitet. Im vergangenen Jahr gab es in Deutschland 409 000 Betroffene im Alter von fünf bis 24 Jahren, wie eine Ende Oktober veröffentlichte Auswertung des Barmer-Instituts für Gesundheitssystemforschung ergab. Dies waren demnach knapp 30 Prozent mehr als fünf Jahre davor. Im Jahr 2018 gab es laut Krankenkasse 316 000 junge Menschen mit Depressionen. Entgegenwirken können die Gesellschaft und die Betroffenen, indem psychische Sorgen und Probleme nicht mehr stigmatisiert werden, sondern behandelt, wie das bei körperlichen Beschwerden selbstverständlich ist. Dr. Dr. Matthias Reinhard, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie am LMU-Klinikum, erklärt im Interview, was Betroffene wissen müssen.

Wann bekomme ich eine Psychotherapie?

In einer Psychotherapie werden psychische Beschwerden wie zum Beispiel Ängste, Niedergeschlagenheit, Schlafstörungen, Grübeln oder auch Schwierigkeiten im Alltag oder Beruf behandelt. Um einen Psychotherapeuten aufzusuchen, braucht es keine ärztliche Überweisung. Wohl aber kann der Hausarzt dabei helfen, einzuschätzen, ob eine psychotherapeutische Behandlung sinnvoll und notwendig sein kann. Hinweis darauf, dass die Psyche in Not ist, können auch körperliche Beschwerden wie etwa schmerzhafte Verspannungen sein. Auch traumatische Erlebnisse wie beispielsweise ein Unfall können psychotherapeutische Unterstützung notwendig machen. Je nach Bedarf und dem Krankheitsbild erfolgt die Psychotherapie in unterschiedlichen Formen, also stationär, tagklinisch oder ambulant.

Bezahlt die Kasse eine Psychotherapie und wer stellt die Diagnose?

Um mit einer kassenfinanzierten Psychotherapie beginnen zu können, brauchen gesetzlich Versicherte zunächst immer eine Diagnose über das Vorliegen einer psychischen Störung mit Krankheitswert. So eine Diagnose bekommt man im Rahmen der sogenannten psychotherapeutischen Sprechstunde. Diese Sprechstunden müssen alle zugelassenen Psychotherapeuten mit einem Kassensitz anbieten. Was man allerdings wissen muss: In vielen Fällen kann man die Psychotherapie aufgrund fehlender Kapazität nicht bei der Therapeutin oder dem Therapeuten durchführen, der die Diagnose gestellt hat. Das heißt, dass man dann, wenn man die Diagnose hat und damit Behandlungsbedarf feststeht, mit der eigentlichen Psychotherapieplatz-Suche beginnen kann. Wer privat versichert ist oder die Therapie selbst bezahlen will, muss sich nicht an dieses Prozedere halten.

Wie finde ich einen Therapeuten?

Aufgrund des hohen Bedarfs gestaltet sich die Suche nach freien Therapieplätzen häufig langwierig und ist dann auch noch mit Wartezeit verbunden. Gegebenenfalls kann die Koordinationsstelle Psychotherapie der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) bei der Suche nach freien Plätzen helfen, die Telefonnummer lautet: 09 21 / 8 80 99 – 4 04 10.

Was ist der Unterschied zwischen einem Psychotherapeuten und einem Heilpraktiker für Psychotherapie?

Ärztliche oder psychologische Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten haben ein Studium der Medizin oder Psychologie hinter sich und haben im Anschluss eine intensive psychotherapeutische Weiterbildung durchlaufen. Beide Berufsgruppen besitzen die Approbation, das heißt, sie können die Leistungen mit der Krankenversicherung abrechnen. Heilpraktiker können sich auf Psychotherapie spezialisieren und legen nach einer Ausbildungszeit eine Heilpraktikerprüfung ab – jedoch keine Approbation. Die Kosten werden daher grundsätzlich nicht von der Krankenversicherung übernommen, können aber gegebenenfalls durch private Zusatzversicherungen abgedeckt werden.

Was ist der Unterschied zu einem Coaching, was ja heute eine große Mode ist?

Im Gegensatz zur Psychotherapie handelt es sich bei Coaching nicht um eine Heilbehandlung von psychischen Beschwerden. Coaching soll stattdessen in verschiedenen Lebenslagen beraten oder helfen, zum Beispiel die eigene berufliche oder private Leistung zu verbessern. Die Kosten hierfür werden privat oder vom Arbeitgeber getragen. Häufig kommen im Coaching auch psychotherapeutische Techniken zum Einsatz.

Was mache ich, wenn ich mit meinem Psychotherapeuten nicht zurechtkomme und wechseln möchte?

Eine gute therapeutische Beziehung und gegenseitiges Vertrauen sind für eine erfolgreiche Psychotherapie wichtig. Ich empfehle stets, Missverständnisse, enttäuschte Erwartungen oder Unwohlsein in der Therapie mitzuteilen und transparent zu besprechen. Ein vorzeitiges Ende der Therapie ist jederzeit möglich. Gegebenenfalls kann der Therapeut bei der erneuten Suche und einem Wechsel behilflich sein.

Bin ich stigmatisiert, wenn ich eine Psychotherapie verschrieben bekomme?

Zum Glück wird es in Deutschland zunehmend selbstverständlicher, dass man sich bei psychischen Beschwerden Unterstützung holen und darüber auch offen sprechen darf. Dennoch höre ich leider immer wieder Erfahrungen von Patientinnen und Patienten, deren Angehörige oder auch Arbeitgeber verständnislos reagiert haben. Häufig führt die Sorge vor Stigmatisierung zu einem späten Therapiebeginn und damit zu einer Verschleppung der Symptomatik.

Wer erfährt von der dieser Verschreibung zugrunde liegenden Diagnose?

Zunächst erfährt nur die Krankenversicherung und in der Regel der Hausarzt beziehungsweise Psychiater von der Diagnose. Im Verlauf kann es jedoch aus verschiedenen sozialmedizinischen Gründen notwendig werden, die Diagnose auch anderen Stellen, zum Beispiel anderen Versicherungsträgern oder Behörden, mitzuteilen.

Wie lange dauert eine Psychotherapie? Welche Arten gibt es?

In Deutschland werden vier Hauptformen von Psychotherapie von der Krankenversicherung übernommen. Die vier Arten unterscheiden sich bezüglich des Ziels der Therapie, der Häufigkeit der Sitzungen und den eingesetzten Techniken. Zu diesen gehören die Verhaltenstherapie, tiefenpsychologisch fundierte Therapie, Psychoanalyse und neuerdings die systemische Therapie. Je nach Form unterscheidet sich auch die durchschnittliche Therapiedauer, die meist von einem halben Jahr bis zu zwei Jahren reicht. Welche Therapie jeweils am besten passt und empfohlen wird, hängt von der individuellen Symptomatik, der Lebensgeschichte und auch der persönlichen Vorliebe des Patienten ab.

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