Die Zauber-Therapie

von Redaktion

Ehrlich Brothers trainieren mit zehn halbseits gelähmten Kindern

Hier entsteht ein Trick der Seilzauberei: Chris Ehrlich übt mit Ben für die große Finalshow. © ZDF/Jens Hartmann

Spaß mit der Schatulle: Leopold ist völlig fasziniert von seinem Trick, der ihm Andreas gerade erklärt. © ZDF/Jens Hartmann

Jetzt geht‘s los: Die Ehrlich-Brothers Chris (li.) und Andreas mit ihren zehn kleinen Zauberlehrlingen. © ZDF/Jens Hartmann

München – Simsalabim gegen Hemiparese? Kann das Trainieren von Zaubertricks Kindern mit halbseitiger körperlicher Lähmung (Hemiparese, siehe unten) helfen, ihre motorischen Fähigkeiten zu verbessern und im Alltag selbstständiger zu werden? Dieser Frage sind das ZDF und das LMU Klinikum München im neuen Format Magic Moves nachgegangen. Zehn Kinder mit Hemiparese haben mit den beiden Ehrlich Brothers, Deutschlands populärsten Magiern, in einem zweiwöchigen intensivtherapeutischen Camp Zaubertricks einstudiert, um den Arm-Hand-Einsatz zu fördern. Oberärztin Dr. Michaela Bonfert, die medizinisch-wissenschaftliche Projektleiterin des Projekts, berichtet in diesem Interview über Chancen und erste Ergebnisse des besonderen Projekts.

Wie kam diese Idee zustande?

Die Produktionsfirma Content Laden hatte die Idee für dieses Fernsehformat für Kinder mit Hemiparese. Wir waren sofort begeistert – schließlich funktioniert Therapie am besten, wenn sie Spaß macht! Bereits 2014 hatten wir mit Münchner Magiern ein Zaubercamp durchgeführt und konnten nun auf diesen Erfahrungen aufbauen.

Was macht Magic Moves so besonders?

Es ist ein besonderes Intensivtraining für Kinder mit halbseitigen Lähmungen. Die Kombination aus ergotherapeutischer Arbeit an persönlichen Zielen, der Neurostimulation, maßgeschneiderten Zaubertricks und therapeutisch begleiteten Gruppenaktivitäten schafft eine außergewöhnliche Motivation. Erfolge steigern die motorischen Fähigkeiten, die Unabhängigkeit und das Selbstbewusstsein der Kinder.

Warum funktioniert Zaubern als Therapie?

Zaubertricks erfordern die Kombination beider Hände, präzise Bewegungen sowie eine gute Auge-Hand-Koordination. Durch das spielerische und faszinierende Training vergessen die Kinder, dass sie Therapie machen – sie sind hochmotiviert und haben Spaß. Gleichzeitig müssen die Kinder sich trauen, auf der Bühne zu stehen, ihre Tricks vorzuführen und Geschichten dazu zu erzählen. Das bindet ihre Aufmerksamkeit und stärkt auch ihre soziale und emotionale Entwicklung. So wird ihr Selbstwertgefühl gefördert – denn wer auf der Bühne zaubert, fühlt sich stark. Die Kinder waren so motiviert, dass sie auch außerhalb der Therapieeinheiten eifrig geübt haben.

Wie funktioniert diese Ergotherapie im Alltag?

Die Therapie wird immer individuell an die aktuellen Bedürfnisse der Kinder angepasst und variiert in der Intensität. Häufig findet sie tatsächlich, wie im Zaubercamp, in blockweisen Einheiten statt – z. B. dann, wenn neue Ziele anstehen. Wichtig ist, dass diese Aktivitäten wie z. B. das Auftragen von Zahnpasta auf die Zahnbürste zu Hause umgesetzt und so oft wie möglich geübt werden. Es geht nicht um Perfektion, sondern um praktische und einfache Lösungen. Zusätzlich finden oft ergänzende physiotherapeutische Maßnahmen statt, wie z. B. Kräftigung und Dehnung der Muskulatur sowie Bewegungsabläufe wie Stehen, Gehen oder Rennen. Wir legen großen Wert darauf, dass die Therapie den Alltag der Kinder nicht dominiert – sie sollen Zeit für Hobbys, Sport und ihre sozialen Aktivitäten haben. Intensive Kurzzeitinterventionen bieten hier einen wichtigen Ausgleich für nachhaltige Fortschritte. Genau dafür war das intensive Üben der Zaubertricks bei Magic Moves hervorragend geeignet.

Konnten Sie Therapie-Erfolge aus dem Projekt ableiten?

Die finale Auswertung der Daten der MRT-Untersuchungen des Gehirns in Kooperation mit der TU München laufen noch. Aber wir sehen schon jetzt: Die Kinder sind im Alltag selbstständiger und unabhängiger. Sie nutzen ihre Hände intuitiver – auch für Aufgaben, die sie gar nicht direkt trainiert haben. Besonders beeindruckt uns, wie sie erarbeitete Strategien auf neue Herausforderungen übertragen können. Ein weiterer wichtiger Punkt ist das gesteigerte Selbstbewusstsein. Kinder, die vorher eher zurückhaltend waren, trauen sich nun, vor der Klasse zu sprechen oder auf Klassenfahrt zu gehen.

Könnte Zaubern in künftige Therapien integriert werden?

Wir wollen das „Magic Moves“ Konzept weiterentwickeln, denn viele Kinder könnten davon profitieren. Die beteiligten Therapeutinnen beherrschen nun eine Reihe grundlegender Zaubertricks, aber die Zusammenarbeit mit professionellen Zauberern bleibt ein zentraler Punkt – weil es so gut für die Motivation ist und Anpassungen des Trainings interprofessionell abgestimmt werden können. In Großbritannien zum Beispiel ist Zaubern als Therapieansatz schon etabliert (Breathe Magic Intensive Therapie Programme) – wir möchten das auch in Deutschland stärker etablieren. Denn es ist wichtig, dass möglichst viele Kinder mit neurologischen Erkrankungen Zugang zu für sie effektiven Therapieangeboten erhalten können.

Was kann Magic Moves darüber hinaus bewegen?

Magic Moves zeigt eindrücklich, dass Kinder mit Hemiparese genau die gleichen Wünsche und Träume haben wie alle anderen Kinder und einfach dazugehören wollen. Als Gesellschaft ist es unsere Aufgabe, diese Teilhabe für alle Kinder unabhängig von ihren Stärken, Schwächen oder körperlichen Einschränkungen sicherzustellen. Neben aktivem Ausgrenzen wie z.B. bei Mobbing, erfahren Kinder mit Körperbehinderung oft ein „passives“ Ausgeschlossenwerden. Ich glaube, das liegt daran, dass viele Menschen unsicher sind, wie sie auf die betroffenen Kinder und ihre Familien zugehen sollen. Aber wie wir in Magic Moves sehen können: Kinder mit Hemiparese gehen meist offen mit ihrer Einschränkung um, können oft hervorragend erklären, welche Erkrankung sie haben, und schlagfertig sind sie auch. Man kann also gar nichts falsch machen.

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