Unterschätzte Krankheits-Kombi

von Redaktion

Doppelte Gefahr: Parodontitis und Diabetes. © Foto: Panther

Zahnfleischbluten: Parodontitiskeime verursachen Entzündungen im Mund. Die Erkrankung des Zahn-Halteapparats kann Diabetes verschärfen – und umgekehrt kann die Zucker-Krankheit die Parodontitis-Behandlung erschweren. © Foto: Mauritius

München – Von den beiden Volkskrankheiten sind in Deutschland Millionen Menschen betroffen – besonders gefährlich kann es für Patienten werden, die sowohl an Parodontitis als auch an Diabetes leiden: Auf der einen Seite erhöht ein schlecht eingestellter Blutzuckerspiegel die Parodontitis-Gefahr und verringert Behandlungschancen bei dieser entzündlichen Erkrankung des Zahn-Halteapparats. Auf der anderen Seite steigert Parodontitis das Risiko, an der Zucker-Vorstufe Prädiabetes und letztlich an Diabetes zu erkranken. Diabetiker mit Parodontitis sind auch anfälliger für Komplikationen – inklusive Todesfällen. Umgekehrt gilt: Eine erfolgreiche Parodontitis kann die Blutzuckereinstellung (HbA1C-Spiegel) verbessern. Diabetes und Parodontitis – das ist eine nach wie vor unterschätzte Krankheits-Kombi. Darauf weisen Zahnmediziner der renommierten zahnmedizinischen Fachgesellschaft DG Paro, der Deutschen Diabetes Gesellschaft und der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde sowie Experten der Bayerischen Landeszahnärztekammer hin.

Der Hintergrund ihrer Warnung: Um im Kampf gegen die beiden Volkskrankheiten gemeinsam in die Offensive zu gehen, haben Zahnmediziner und Mediziner eine gemeinsame Leitlinie erarbeitet. Sie beschreibt das optimale Vorgehen bei der Behandlung. „Wir erhoffen uns eine verbesserte interdisziplinäre Zusammenarbeit bei Prävention, Früherkennung und Therapie dieser beiden Volkskrankheiten“, erklärt Professor Sören Jepsen, Direktor der Poliklinik für Parodontologie, Zahnerhaltung und Präventive Zahnheilkunde am Uniklinikum Bonn.

Viele Senioren von Parodontitis betroffen

Allein in Deutschland erhalten jedes Jahr etwa 500 000 Menschen erstmals die Diagnose Diabetes, darunter viele ältere. Insgesamt sind in Deutschland laut Deutscher Diabetes-Gesellschaft mehr als acht Millionen betroffen – und zwei Millionen haben die Zucker-Krankheit bereits, ohne es zu wissen. Noch weitaus mehr Frauen und Männer kämpfen mit Parodontitis, im Seniorenalter sind sogar zwei Drittel davon betroffen. Dementsprechend groß ist besonders in der Generation 65 plus der Kreis jener Patienten, die an beiden Volkskrankheiten leiden. „Wir sehen immer wieder Patienten, die fast oder gar keine Zähne mehr im Mund haben“, berichtet Professor Hannes Wachtel, Ärztlicher Leiter der Implaneo Dental Clinic in München. Der erfahrene Parodontologe wirbt für eine engmaschige Vorsorge: „Sowohl für Diabetes als auch für Parodontitis gilt: Je früher die Erkrankung erkannt und behandelt wird, umso besser lassen sich Folgeschäden begrenzen oder sogar vermeiden.“

Diese Empfehlung teilt auch Dr. Barbara Mattner, Vizepräsidentin der Bayerischen Landeszahnärztekammer (BLZK): „Diabetes-Patienten sollten ganz besonders darauf achten, regelmäßig – das heißt zwei Mal im Jahr – zur Kontrolluntersuchung in die Zahnarztpraxis zu gehen. Denn so lassen sich erste Anzeichen für eine Parodontitis rechtzeitig erkennen.“ Alle zwei Jahre zahlt die gesetzliche Krankenkasse auch eine spezielle Früherkennungsuntersuchung. „Dabei wird der sogenannte Parodontale Screening Index (PSI) erhoben. Der Zahnarzt misst dabei mithilfe einer Spezialsonde die Tiefe der Zahnfleischtaschen und kann so feststellen, ob eine Parodontitis vorliegt und wie weit diese fortgeschritten ist“, so die BLZK-Expertin weiter.

„Wenn die Zahntaschen zehn bis 15 Millimeter tief werden, haben sie die Wurzelspitze erreicht. Dann wird der Zahn extrem locker und fällt irgendwann aus“, erklärt Wachtel. Solche Entwicklungen gelte es mit regelmäßiger Vorsorge zu vermeiden. „Ganz wichtig sind dabei auch die Termine bei der Professionellen Zahnreinigung. Dabei überprüfen und dokumentieren speziell ausgebildete Dentalhygienikerinnen den Zahnstatus. Diese Kontrolle ermöglicht es den Patienten, bereits bei ersten Anzeichen für Pardontitis frühzeitig zu reagieren. Oft lassen sich bereits mit der richtigen Putz- und Reinigungstechnik inklusive dem Benutzen von Zahnseide effektive Verbesserungen erzielen“, rät Wachtel.

Die Warnzeichen für Diabetes

Mit regelmäßiger Vorsorge lassen sich fatale Entwicklungen im Mund vermeiden. Das gilt auch für Diabetes. Gut eingestellte Blutzuckerwerte helfen, die negativen Folgen der Erkrankung so gering wie möglich zu halten. Wer sich unsicher ist, ob er an Diabetes erkrankt sein könnte, sollte lieber einmal zu viel als zu wenig zum Hausarzt gehen. Allgemeinmediziner oder Internisten schaffen mit einem Blutzuckertest Klarheit. Alarmsignale für entgleiste Blutzuckerwerte können starker Durst, häufiges Wasserlassen, Müdigkeit, Abgeschlagenheit, trockene Haut und Juckreiz, schlecht heilende Wunden, eine Neigung zu Infektionen oder Sehstörungen sein.

Bei Parodontitis bemerken viele Patienten zunächst Zahnfleischbluten und auch Schwellungen. Die Entzündungsprozesse werden von Bakterien hervorgerufen. „Wir haben etwa 700 verschiedene Erregerarten im Mund“, weiß Parodontologe Wachtel. „Die allermeisten sind harmlos, aber etwa zehn aggressive Erregertypen können schwere Schäden anrichten. Sie gehören zur Gruppe der sogenannten gramnegativen anaeroben Bakterien. In ihren Wänden sitzen sehr viele Giftstoffe. Die Bakterien siedeln sich in Taschen rund um die Zahnhälse an. Sie zerstören zunächst die Zahnfleischhaut, dringen dann ins Zahnfleisch selbst ein und verursachen dort chronische Entzündungen. Im weiteren Krankheitsverlauf bildet sich auch der Knochen zurück. So lange, bis an den betroffenen Stellen die Zähne ausfallen.“

Dieser Prozess ist nicht nur eine Gefahr fürs Gebiss, sondern mitunter für den gesamten Organismus: „Im gesunden Zustand ist das Zahnfleisch sozusagen mit den Zähnen verklebt. Diese Gewebe-Struktur kann man sich wie einen Schutzschild gegen Eindringlinge vorstellen“, erläutert Wachtel: „Wenn nun diese Barriere zerstört wird, haben die Bakterien freie Fahrt in die Blutgefäße. Dort können sie entzündliche Prozesse fördern, die wiederum zu Gefäßverengungen und im schlimmsten Fall zu Gefäßverschlüssen führen.“ Gefäßverschlüsse können Herzinfarkte und Schlaganfälle verursachen.

Auch Diabetes gehört zu den großen Risikofaktoren für Gefäßerkrankungen – insofern seien die beiden Volkskrankheiten in Kombination besonders ernst zu nehmen, warnen Zahnmediziner unisono. Professor Christoph Benz von der BLZK: „Diabetes-Patienten mit schlecht eingestellten Blutzuckerwerten neigen zu Entzündungen. Ihr Zahnhalteapparat kann sich schlechter regenerieren. Zudem verläuft eine Parodontitis bei ihnen oft schwerer und sie verlieren mehr Zähne als Menschen, die nicht an die Diabetes leiden.“ Umgekehrt bringen durch Parodontitis verursachte Entzündungsherde den Blutzuckerspiegel von Diabetikern aus dem Gleichgewicht. In der Folge lässt sich nicht so gut einstellen. Dies erschwert die Behandlung des Diabetes.

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