Skiunfälle: Immer mehr Kollisionen

von Redaktion

Einsatz auf der Piste: Rettungskräfte der Bergwacht Garmisch-Partenkirchen transportieren eine verletzte Skifahrerin ab. Jede fünfte Skiverletzung geht auf einen Zusammenstoß zurück. © Foto: dpa

München – Nina (12) und ihr Cousin Tobi (9) standen nichts ahnend am Pistenrand, als ein paar Meter über ihnen ein anderer Skifahrer die Kontrolle verlor. Der 36-Jährige – selbst Familienvater – war mit bescheidenem Fahrkönnen und viel zu hoher Geschwindigkeit unterwegs. Auf einer Eisplatte lief seine Kante ins Leere, er stürzte und schlitterte ungebremst in die beiden Kinder aus dem Landkreis München hinein. Der Bub wurde am Bein getroffen, das Mädchen in die Luft katapultiert. Es schlug mit dem Rücken auf der steinharten Kunstschneepiste auf. Alle drei hatten Glück: Sie kamen mit Prellungen und einem Schock davon.

Doch nicht immer gehen Kollisionen wie diese am vergangenen Donnerstag in einem Kärntner Skigebiet relativ glimpflich aus. „Die Folgen können dramatisch sein“, weiß der Orthopäde und Unfallchirurg Dr. Sebastian Torka, der viele Wintersportler betreut. „Insbesondere dann, wenn Verletzungen an Kopf, Wirbelsäule, Brustkorb und Becken entstehen.“ Inzwischen ist jeder fünfte Skiverletzte Opfer eines Zusammenstoßes – Tendenz steigend. Das berichtet die statistische Auswertungsstelle für Skiunfälle (ASU).

Schlimmstenfalls enden diese gefürchteten Kollisionen sogar tödlich. So starb erst am vergangenen Sonntag im Graubündner Skigebiet von Klosters/Davos ein 24-jähriger Skifahrer aus Deutschland. Er soll im Bereich einer Talstation mit einem anderen Skifahrer zusammengestoßen sein. Durch den Aufprall sei er mit einer Hinweistafel kollidiert und habe das Bewusstsein verloren, teilte die Polizei mit. Der Mann starb noch auf der Piste.

Die Zunahme der Zusammenstöße hat gleich mehrere Gründe: Zum einen transportieren immer modernere Liftanlagen immer mehr Menschen immer schneller nach oben. Dadurch wird es voller auf den Pisten. Gleichzeitig sind die Pisten bei Schneemangel oft etwas schmaler, denn künstliche Beschneiung ist teuer und aufwendig. Zum anderen hat sich die Technik der meisten Skifahrer enorm verändert – eine Entwicklung, die den Carvingskiern geschuldet ist. „Sie sind viel stärker tailliert als frühere Materialgenerationen. Damals fuhr man meist in Falllinie und wedelte. Diese Technik braucht vergleichsweise wenig Platz auf der Piste. Dagegen ermöglichen die Carver eine ganz andere Kurvendynamik. Sie ermöglichen große Radien. Das hat zur Folge, dass mehr quer zum Hang gefahren wird“, analysiert Christian Neureuther, ehemaliger Weltklasse-Skifahrer und staatlich geprüfter Skilehrer.

Nicht nur aus seiner Sicht sind die Carver Fluch und Segen zugleich. Denn zwar erleichtern sie es Anfängern enorm, das Skifahren zu erlernen. Aber sie verleiten eben auch weniger gute Skifahrer dazu, wie auf Schienen weite Kurven mit hohem Tempo zu fahren. „Die modernen Carver machen Spaß. Doch bei all der Begeisterung vergessen viele Leute, dass sie ihre Skier jederzeit im Griff haben sollten. Sie überschätzen sich und ihre Fähigkeiten, im Falle einer unvorhersehbaren Situation noch gut reagieren und einen Unfall verhindern zu können“, kritisiert Neureuther.

Diese Einschätzung teilt auch Sportorthopäde Torka, der in Berchtesgaden praktisch auf Skiern aufgewachsen ist: „Es reicht leider heute oft nicht mehr aus, dass man selbst sein Material beherrscht. Auf der Piste muss man immer auch mit den Fehlern anderer rechnen.“ Gerade deshalb sollte man immer auch mal mit einem Auge nach oben schauen. „Dann kann man vielleicht noch reagieren, wenn im wahrsten Sinne des Wortes Gefahr im Anflug ist.“ Torkas Rat an alle Skifahrer: „Nie ohne Helm und ohne Rückenprotektor auf die Piste.“

Besonders gefährdet bei Kollisionen sind Kinder. Vor diesem Hintergrund appellieren Torka und Neureuther eindringlich an alle erwachsenen Skifahrer, Rücksicht zu nehmen. „Man kann die nächsten Schwünge von einem Kind nie hundertprozentig sicher vorhersagen. Es kann immer sein, dass gerade ein Kind mal einen verrückten Haken schlägt. Deshalb gilt: Wenn Kinder im Hang sind, dann grundsätzlich runter vom Gas und Abstand halten. Diese einfache Regel muss einfach jeder beherzigen“, fordert Neureuther.

Der 75-Jährige ist selbst oft mit seinen vier Enkelkindern auf der Piste unterwegs. Um sie vor heranrauschenden Skifahrern zu schützen, fährt der Opa fast immer hinter ihnen. „Ich fahre ihnen keine Schwünge vor, sondern gebe ihnen meine Tipps praktisch von hinten. Dadurch stehe ich notfalls als Prellbock dazwischen, wenn ein Harakiri-Fahrer von oben kommt und nicht mehr rechtzeitig bremsen kann.“

Generell rät Neureuther allen Eltern dazu, mit Kindern ein paar Vorsichtsmaßnahmen zu berücksichtigen. „Ich fahre mit meinen Enkeln möglichst am Rand, versuche zu vermeiden, mit ihnen Schwünge über den gesamten Hang zu ziehen. Und ganz wichtig: Man muss immer nach oben schauen, bevor man losfährt. Das muss man den Kindern vorleben und sie auch notfalls ausbremsen und daran erinnern, weil Kinder einfach nicht immer gewissenhaft nach oben schauen. Die wollen oft einfach losbrettern und Spaß haben.“

Um das Unfallrisiko gerade für Ski-Zwergerl zu reduzieren, raten Neureuther und Torka auch dazu, den Familien-Skitag zumindest ein bisschen zu planen. „Man sollte mit Kindern besonders stark frequentierte Hänge meiden – beispielsweise überfüllte Talabfahrten am Nachmittag. Da ist es manchmal besser, mit der Gondel runterzufahren.“ Auch die Stoßzeiten spielen eine Rolle. „Man muss nicht zwingend in den Faschingsferien Skifahren. Manchmal gibt es auch in den Osterferien noch prima Verhältnisse“, sagt Neureuther. „Dann ist es nicht mehr so voll auf den Pisten und in der Frühlingssonne macht das Skifahren besonders Spaß.“

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