Begeisterter Fußballer: Rückenpatient Francesco Quarti (55). © Foto: privat
Schonender Eingriff unter Röntgenkontrolle: Auf dem Bildschirm kann Dr. Reinhard Schneiderhan verfolgen, ob sich der Wirbelsäulenkatheter exakt an der gewünschten Stelle befindet. © Fotos: Ramona Müller/MVZ Dr. Scheiderhan & Kollegen
München – Viele Rückenpatienten stecken in einem Dilemma: Auf der einen Seite lassen sich ihre hartnäckigen Beschwerden durch Schmerztabletten und Spritzen nur bedingt lindern, auf der anderen Seite wollen sie eine offene Operation unbedingt vermeiden – beispielsweise bei Bandscheibenvorfällen mit bedrängten Nervenwurzeln oder Spinalkanalstenosen. Zwei Wirbelsäulen-Spezialisten erklären, wie sie in vielen Fällen mit einer minimalinvasiven Behandlungsmethode oder mit einer schonenden Operationstechnik helfen können.
Francesco Quarti (55) arbeitet auf dem Bau. Verputzen, malern, Boden verlegen: ein Knochenjob, der Spuren hinterlässt – auch an der Wirbelsäule. Eineinhalb Jahre quälte sich der sportliche Schwabe mit den Folgen eines Bandscheibenvorfalls herum, hatte ständig Schmerzen und ein unangenehmes Dauerkribbeln im gesamten Bein bis hinunter zum Fuß. „Ich konnte mir nicht mal mehr die Schuhe zubinden, ohne mich hinzusetzen.“
Weil sich seine Beschwerden trotz konservativer Therapieversuche einfach nicht besserten, entschied sich Quarti für eine Operation – allerdings nicht mit der klassischen mikrochirurgischen Technik, sondern endoskopisch. „Diese Methode ist schonend und komplikationsarm“, berichtet Rückenspezialist Dr. Reinhard Schneiderhan, Chefarzt des gleichnamigen Wirbelsäulenzentrums in Taufkirchen im Landkreis München. Bei dem Endoskop handelt es sich um ein dünnes Röhrchen, sein Durchmesser beträgt nur fünf Millimeter. Es wird durch eine natürliche Knochenöffnung in der Wirbelsäule bis in den Wirbelkanal vorgeschoben. „Durch das Endoskop werden filigrane Instrumente eingeführt, um störendes Bandscheiben- und Weichteilgewebe oder knöcherne Engstellen zu beseitigen.“ Die Methode bietet sich auch bei einem Großteil der Spinalkanalstenosen (Einengungen des Wirbelkanals) sowie bei Zysten an. Besonders häufig wird sie allerdings nach Bandscheibenvorfällen angewendet. Eine Alternative kann auch eine Behandlung mit dem Wirbelsäulenkatheter sein (siehe Extra-Text unten).
Der Knackpunkt beim Bandscheibenvorfall
Eine Bandscheibe wirkt wie ein Stoßdämpfer zwischen den Wirbelkörpern. Sie ist mit einer gelartigen Flüssigkeit gefüllt und von einem Faserring umschlossen. Bei einem Bandscheibenvorfall, der meist durch Verschleiß verursacht wird, reißt dieser Ring ein und Bandscheibengewebe gelangt in den Wirbelsäulenkanal (Fachbegriff Spinalkanal). Ein Schicksal, das jährlich etwa 180 000 Patienten teilen. Bei Francesco Quarti ereignete sich der Vorfall auf Höhe des fünften Lendenwirbelkörpers und des ersten Sakralwirbelkörpers (Kreuzbeins), Mediziner verwenden dafür die Abkürzung L5/S1. „In diesem Abschnitt passieren die meisten Bandscheibenvorfälle – auch deshalb, weil diese Bandscheibe einem besonders großen Druck ausgesetzt ist“, weiß Schneiderhan und erklärt: „In diesem Areal entspringt der Ischiasnerv. Wenn dessen Nervenwurzel von dem ausgetretenen Bandscheibengewebe bedrängt wird, können die Schmerzen ins gesamte Bein ausstrahlen. Es kann auch zu Kraftverlust und Lähmungserscheinungen kommen.“ In seltenen Fällen verlieren die Patienten auch die Kontrolle über ihren Darm und die Blase. Dann sprechen Mediziner von einem Kauda-Syndrom – ein Notfall, bei dem anders als nach den allermeisten Bandscheibenvorfällen sofort operiert werden muss.
Ganz so schlimm erwischte es Quarti zwar nicht, aber er verspürte über Monate ein Kribbeln im ganzen Bein und der ziehende Schmerz vom Gesäß abwärts ließ einfach nicht nach. „In den meisten Fällen kommt man nach einem Bandscheibenvorfall ohne OP wieder auf die Beine. Aber entscheidend ist der Leidensdruck des Patienten“, erklärt Neurochirurg Dr. Zainalabdin Hadi. „Eine OP kann schnell Linderung verschaffen. Dabei wird das ausgetretene Bandscheibengewebe entfernt, das auf die Nervenwurzel drückt.“ Wichtig ist allerdings, dass sich möglichst kein störendes Narbengewebe bildet – und dadurch die Beschwerden wieder aufflammen. Dieses Risiko ist bei einer endoskopischen OP geringer.
Bei Quarti entpuppte sich dieses Vorgehen als goldrichtig. „Ich lag nach der OP eine Nacht lang in der Klinik, und schon am nächsten Tag waren meine Schmerzen fast wie weggeblasen“, erzählt er. Nach einigen Wochen Schonung startete er mit Rückentraining durch und schnürte schon bald darauf wieder die Fußballschuhe. Auch mit 55 kickt er noch leidenschaftlich in der zweiten Mannschaft seines schwäbischen Heimatvereins. „Das macht mir nach wie vor großen Spaß.“ Seine Position: Sturmzentrum. „Die OP war im Mai, heute spüre ich keinerlei Einschränkungen mehr.“ Jetzt klappt die Ballannahme auch wieder mit dem Rücken zum Tor. „Nur einen Fallrückzieher sollte Herr Quarti vielleicht besser vermeiden“, sagt Schneiderhan augenzwinkernd.
ANDREAS BEEZ