KI-Prothese ersetzt Arm und Hand

von Redaktion

Spektakuläres Forschungsprojekt der TU München – Hilfe für ukrainischen Soldaten

Kriegshölle in der Ukraine: Veteran Ivan stammt aus der Region Tschernihiw. Dort starben im März 2022 unter anderem 47 Zivilisten nach einem russischen Luftangriff. © Foto: Dmytro Kumaka

Lebensmut trotz schwerer Verwundung: Der ukrainische Soldat Ivan Nuzhniy unterstützt TUM-Wissenschaftler um Dr. Amartya Ganguly (re.) und Dr. Arthur Wagner (Mitte) bei der Entwicklung einer neuen Hightech-Armprothese. © Foto: Marcus Schlaf

München – Einen kompletten Arm zu ersetzen, gehört zu den Königsdisziplinen der Orthopädietechnik. Die Bewegungsabläufe sind filigran und erfordern ein Höchstmaß an feinmotorischer Koordination, als entsprechend komplex gilt die Ansteuerung der Prothese – gerade dann, wenn im Oberarmbereich amputiert werden musste. Wissenschaftler der TU München arbeiten derzeit an der Entwicklung einer Hightech-Prothese, die auch mithilfe Künstlicher Intelligenz (KI) einen Quantensprung in Sachen Funktionalität bewirken soll. Gleichzeitig helfen die Münchner Forscher dabei einem ukrainischen Soldanten, der bei einem russischen Artillerieangriff schwer verwundet worden ist.

Ivan Nuzhniy (35) kämpfte bereits ein Jahr lang an der Heimatfront in der Ukraine, als seine Einheit unter schweren Beschuss geriet. Granatsplitter zerfetzten sein linkes Bein, zudem verlor er einige Finger der linken Hand und seinen gesamten rechten Arm. Das Dauerfeuer war derart heftig, dass der Verwundete erst am nächsten Tag von seinem Kameraden aus der Schusslinie gebracht werden konnte. „Ich habe mir selbst den Arm abgebunden, um nicht zu verbluten. Es waren höllische Schmerzen“, erinnert sich der junge Mann, der vor dem Ukraine-Krieg als Elektrotechniker gearbeitet hat. Er stammt aus Tschernihiw nahe der Grenze zu Russland. In Deutschland erlangte die nordukrainische 300 000-Einwohner-Stadt im März 2022 traurige Bekanntheit, weil bei einem russischen Luftangriff auf ein Wohnquartier 47 Zivilisten getötet wurden.

Auch Ivans Leben hing an einem seidenen Faden. „Es war knapp“, erinnert sich der junge Mann an die Schreckensnacht im vergangenen Februar. Im Lazarett retteten die Ärzte mit den Amputationen sein Leben. Bereits seit einigen Monaten kümmern sich auch deutsche Ärzte um ihn – zunächst am Uniklinikum Erlangen, wo der 35-Jährige eine Beinprothese erhielt. Und nun auch in München. Hier verhalf ein Ärzte-Team der Neurochirurgischen Klinik des TUM Universitätsklinikums unter Leitung von Professor Bernhard Meyer dem Patienten zu einer Armprothese – mit großzügiger Unterstützung des Orthopädietechnikunternehmens Ottobock. Die Techniker der Firma arbeiteten unentgeltlich, das TUM Klinikum finanzierte die Materialien. Der Kriegsveteran selbst hätte die Kosten nicht begleichen können, sie belaufen sich für eine solche Prothese auf mehrere zehntausend Euro, mitunter werden über 100 000 Euro in Rechnung gestellt.

Die Neurochirurgen des Klinikums rechts der Isar arbeiten eng mit ihren Wissenschaftlerkollegen des Munich Institute of Robotics and Machine Intelligence zusammen, das von Professor Sami Haddadin geführt wird. Die TUM-Experten forschen gemeinsam an modernen Prothesen. „Wir wollen amputierten oder querschittsgelähmten Patienten eine Hilfestellung im Alltag geben. Es geht darum, Bewegungsabläufe möglichst naturgetreu zu imitieren“, erklärt Privatdozent Dr. Arthur Wagner. Der engagierte Oberarzt betreute Nuzhniy intensiv, wertete unter anderem radiologische Untersuchungen und elektrophysiologische Messungen aus. Sie sind wichtig, um zu ermitteln, ob der Einsatz einer sogenannten myoelektrischen Armprotheseüberhaupt möglich ist. Eine solche Prothese wandelt Muskelsignale in fließende Bewegungen um und gilt als Standard für die Versorgung nach einer Armamputation.

Dazu wird auf den Prothesenstumpf eine Art Sockel aufgesetzt. „Dieser Sockel beinhaltet Elektroden, die Signale aus der Muskulatur ableiten. Vorher wird untersucht, ob noch ausreichend Signale vorhanden sind“, berichtet Wagner. Dieser komplexe Prozess steht auch im Fokus der TU-Wissenschaftler. „Bei der Übersetzung der elektrischen Signale in Bewegung geht derzeit noch viel verloren. Das möchten wir ändern, auch mithilfe Künstlicher Intelligenz. Die KI soll anhand von erlernten Bewegungsabläufen eines gesunden Arms helfen, die Ansteuerung der Prothese zu verbessern.“

Eine entsprechende Studie an der TU München fördert das Bundesforschungsministerium mit Zuschüssen in Millionenhöhe. Das Geld fließt unter anderem in ein Hightechlabor in Garching. Dort hat Projektleiter (Senior Scientist) Dr. Amartya Ganguly mit seinem Team ein erstes Arbeitsmodell für eine neue KI-gestützte Armprothese entwickelt. Diese kann Soldat Nuzhniy im Gegensatz zu seinem herkömmlichen Modell zwar nicht im Alltag nutzen, aber er unterstützte die Forschung im Rahmen zahlreicher Tests. „Wir konnten dadurch wertvolle Informationen für die Weiterentwicklung gewinnen“, berichtet Ganguly. Im Sommer 2026 soll die Studie mit der Fertigstellung eines Prototypen abgeschlossen werden. Danach seien allerdings noch weitere Schritte nötig, um die Prothese in den Handel zu bringen. Der Wissenschaftler: „Wir gehen davon aus, dass wir sie in etwa fünf Jahren für alle Patienten zur Verfügung stellen können.“

Darauf muss Ivan Nuzhniy nicht warten, der tapfere Soldat kann sich stattdessen mit seiner bereits etablierten Armprothese zurück in den Alltag kämpfen. „Ich bin sehr dankbar für diese Prothese und all die Hilfe aus Deutschland. Jetzt freue ich mich auf Zuhause“, erzählt er unserer Zeitung – mit einem Lächeln im Gesicht. Man spürt: Der Krieg hat ihm zwar einen Arm und ein Bein genommen. Aber den Lebenswillen des jungen Mannes konnte auch der stärkste Bombenhagel nicht brechen.
ANDREAS BEEZ

Studienteilnehmer gesucht

Die Forscher der TU München suchen weiterhin Patienten mit hohem Querschnittssyndrom oder Oberarmamputation zur Studienteilnahme. Interessenten können sich unter aid-studie@mri.tum.de melden.