Das Neunauge knabbert am Wirt. © Frei/dpa
Geschickte Einbrecherin: Wespenbiene. © Darkone/Wiki
Möwen sind Meisterdiebe, ihr bevorzugter Tatort ist die Strandpromenade. © Jonas Walzberg/dpa
Fremde Eier dienen den Schlupfwespen (hier eine Samuraiwespe) als Nahrung für die Nachkommen. © Klaus Schrameyer/dpa
Der Nachwuchs soll es weich haben, doch da Nistmaterial rar ist, klauen es sich die Basstölpel häufig gegenseitig aus den Nestern. © Sina Schuldt/dpa
Velbert – „Keiner der Täter hat sich mit seinen Taten schuldig gemacht“, beruhigt Farina Grassmann, Naturfotografin aus dem nordrhein-westfälischen Velbert und Autorin des Buches True Crime in Nature. Eher ist es der Einfallsreichtum der tierischen „Verbrecher“, der den Menschen schon immer staunen lässt.
Der wohl bekannteste Sünder ist der Kuckuck. Frei nach dem Motto „Der Feind in meinem Nest“ wartet Frau Kuckuck, bis das Nest eines Rohrsänger-Paars unbewacht ist. Sie verschlingt eines der Eier und legt in Sekundenschnelle ein eigenes hinein. Nach zwölf Tagen schlüpft das Kuckuckskind und ist damit früher dran als die leiblichen Kinder der Rohrsänger. Frau Kuckuck hat quasi einen eingebauten Inkubator: Sie kann vor dem Legen das Ei bebrüten. Dann zeigt der kleine Kuckuck sein wahres Ich. Er haut die Eier der Rohrsänger raus oder schmeißt bereits geschlüpfte Küken über den Rand des Nestes.
Nicht nett, aber Brutparasitismus ist in der Vogelwelt eine Jahrmillionen alte Strategie der Evolution. Und es ist auch Evolution, dass es Singvogelarten gibt, die den Trick durchschaut haben wie der Buchfink oder der Neuntöter. Sie lehnen die Kuckuckseier ab – das perfekte Verbrechen ist das also seitens des Kuckucks nicht!
Hinzu kommt, dass der Zugvogel zunehmend Probleme mit dem Timing hat. Der Klimawandel hat schon für eine Verschiebung der Klimazonen um bis zu 100 Kilometer nach Norden gesorgt. Der Frühling beginnt bis zu sieben Tage früher als noch vor 20 Jahren. Dadurch kehren Kurzstreckenzieher früher zurück und besetzen Brutplätze und bei der Ankunft des Kuckucks im Mai gibt es kaum mehr Nester mit Eiern, wo er sein Kuckuckskind platzieren könnte!
Den Trick mit den Kuckuckskindern kennen auch Kuckuckshummeln. Farina Grassmann erzählt: „In bester Kneipenschlägerei-Manier poltert eine Königin hinein und hält angriffslustig nach der heimischen Königin Ausschau. Ein Kampf um Leben und Tod beginnt.“ Den das überfallene Volk nicht gewinnen kann. Die Kuckuckshummel ist größer und besser gepanzert, sie lässt am Ende der Überfallenen die Wahl: fliehen oder sich ergeben, zum Preis, dann selber Arbeiterin zu werden.
Auch Wespenbienen sind fiese Schmarotzer bei Sandbienenarten. Ein Weibchen hält zuerst langsam fliegend, knapp über dem Boden, nach einem Wirtsnest Ausschau. Sucht einen Ausguck, beobachtet in geheimer Kommandosache das Nest und wartet, bis das Wirtsweibchen abschwirrt. Gräbt den Nesteingang auf – manche sind sogar so pfiffig. ihn nach der Eiablage wieder zuzumachen – und legt ein oder auch zwei Eier ab. Nach dem Schlupf frisst die Parasitenlarve das Ei oder die Larve des Wirts und ernährt sich anschließend von dessen Nahrungsvorräten.
Ohne Frage ist diese ganze Brutpflege, all diese Care-Arbeit, extrem anstrengend. Auf die Spitze getrieben haben es die Schlupfwespen, weltweit gibt es rund 30000 Arten, alle hochkriminell, wenn es um die Fortpflanzung geht. „Dann krabbelt sie über das Holz und durchleuchtet es wie die Flughafen-Security die Koffer der Reisenden.“ Hat sie dort dann z.B. die Larve eines Bockkäfers entdeckt, dann zückt sie ihren Legebohrer und legt ihr Ei in die Larve. Und die Schlupfwespenlarve frisst sich dann durch den Körper des Anderen. Nicht nett – ihre Wirte werden zu lebenden Vorratskammern!
Auch der Tatbestand des Diebstahls kommt im Tierreich in inflationärer Menge vor. Basstölpel klauen ihren Nachbarn in der Kolonie das Nistmaterial, denn Selber-Abheben ist extrem anstrengend. Aber sie sind Gelegenheitsdiebe, die Meisterin ist die Silbermöwe, die auf Promenaden gerne mal Pommes klaut. Die legendäre Möwe Steven stiehlt in England fast täglich in einer Tesco-Filiale Chips. Sie hat begriffen, wie sich durch die automatisch öffnende Tür der Supermarkt betreten lässt….
Auch Körperverletzung regiert das Tierreich: Der Cookie Cutter Shark beißt seinem englischen Namen gemäß seinen Opfern zwei Euro große Fleischstücke aus dem Körper. Ein ganz schauriger Schurke aber ist das Neunauge. Es lebte schon vor den Dinosauriern und tut das bis heute ganz unbemerkt in der Nord- oder Ostsee. Es sieht fischartig aus, gehört aber zu den Kieferlosen Rundmäulern. Und mit dem Maul saugt es sich an Fischen fest und ist dabei „ihr Blut zu saugen und ihnen das Fleisch von den Gräten zu raspeln, während er mit ihnen durchs Meer reist. Nur wer groß und gesund ist, kommt mit etwas weniger Gewicht auf der Waage noch einmal davon.“
Das so gestärkte Neunauge zieht dann von Mündungen flussaufwärts, um zu laichen. Aus dem Ei schlüpft etwas Wurmartiges, das sich im Gewässergrund vergräbt, nur den Kopf herausstreckt und aus dem vorbeiströmenden Wasser Nahrung filtert. Erst nach fünf Jahren beginnen die Neunaugen ihre beschwerliche Reise ins Meer – und bei dem Aufwand verzeiht man ihnen das Blutsaugen doch! Zumal die zunehmende Begradigung von Flüssen und Querbauten ihre Lebensweise fast unmöglich machen. Der einzig wahre Verbrecher an der Natur bleibt der Mensch!
Buchtipp
Farina Grassmann, mit Illustrationen von Cornelis Jettke: True Crime in Nature, Kosmos-Verlag, 192 Seiten. Ein wunderbares Buch, mit einem Augenzwinkern erzählt. Das Buch verzichtet auf Wissenschaftsjargon, ist heiter und zeitgeistig und man lernt dennoch jede Menge dazu.