Er spielt und lacht und freut sich des Lebens: Dieser kleine Bub kommt mit seinem Handicap gut klar.
Momente der Ansprache und liebevollen Nähe mit ihrer Pflegerin sind für die AtemReich-Kinder extrem wichtig.
Sommerfreuden: Ausflüge mit den Kindern wie dieser schöne Tag am Ammersee sind nur dank großzügiger Spenden möglich. Die technische Ausrüstung für die Beatmung muss natürlich immer dabei sein. © Kinderhaus AtemReich (5)
München – Robin (8; Name geändert) ist gerade mal wieder in seinem Rollstuhl im Haus unterwegs. Er checkt täglich Küche und Spülmaschine, schaltet überall die Lichter aus, macht Musik mit den „Funky Frogs“ und liebt seine Reittherapie. Manchmal jedoch rauscht einer seiner Blutwerte in den Keller. Dann muss Robin schnellstens ins Krankenhaus. Der Weg ist nicht weit. Das Klinikum Dritter Orden im Münchner Stadtteil Obermenzing liegt gleich nebenan. Denn Robin wohnt im Kinderhaus AtemReich – einem betreuten Zuhause für beatmete Kinder und Jugendliche.
Hell und bunt ist es hier. Gelbe Vorhänge, rote Stühle, auf dem Boden Turnmatten, an der Wand eine Gitarre und durch die Fenster in den Garten sieht man die große Schaukel mit bunten Tiermotiven. Lediglich der große Monitor über dem Tisch erinnert daran, dass dies hier keine gewöhnliche Kita ist. Auf diesem Bildschirm flimmern Zahlen und Kurven für Herzrhythmus, Puls und Sauerstoffsättigung. Denn jeder der jungen Bewohner des AtemReichs ist hier dauerüberwacht. „Unsere Kinder sind nicht so krank, dass sie auf der Intensivstation überwacht werden müssen. Aber sie haben einen erhöhten medizinischen Bedarf, der zu Hause nicht abgedeckt werden kann“, erklärt Pflegedienstleiterin Magdalena Triebenbacher.
Das AtemReich hat derzeit Plätze für 18 Kinder und Jugendliche, die „bereits beatmet werden oder jederzeit in diese Situation kommen könnten“, beschreibt Magdalena Triebenbacher die Situation ihrer kleinen Patienten. Alle tragen einen Tubus – einen speziellen Schlauch in der Luftröhre, der die Atemwege frei hält. So kann jederzeit ein Beatmungsgerät angeschlossen werden. Bei einigen Kindern ist dies rund um die Uhr notwendig, bei anderen nur nachts oder stundenweise. Viele der Kinder sind mehrfach behindert und brauchen daher eine Betreuung, die eine Familie daheim nur selten bieten kann. „Die meisten unsere Kinder sind von Geburt an hier bei uns“, sagt Magdalena Triebenbacher. Manche bleiben nur ein paar Monate, andere viele Jahre. Spätestens zu ihrem 18. Geburtstag muss dann ein anderer Platz gefunden werden.
Robin wohnt seit eineinhalb Jahren im AtemReich. Wie jedes Kind hat er ein eigenes Zimmer. Zwischen Beatmungsmaschine, Monitor, Wickeltisch und Rollstuhl schmücken Fotos seiner Familie und Bilder den Raum. So normal wie möglich soll der Alltag der Kinder im AtemReich sein – das ist das große Ziel. Und vor allem: Teilhabe! „Alles was die Kinder selber können, ist ein Stück Freiheit“, sagt Lena Günther. Die Erzieherin sitzt heute mit der zweijährigen Kathi auf dem Boden und trainiert die Motorik ihrer Hände. Das Mädchen soll Holzstöckchen in ein Lochbrett stecken. Kathi macht gerne mit. Lena Günther spricht nicht nur mit der Zweijährigen, sondern benutzt auch einfache Gebärden., „weil wir nicht wissen, ob unsere Kinder jemals sprechen lernen werden.“ Ein Daumen nach oben heißt „Super, sehr gut“. Ein mit der Hand vor dem Körper gezogener Kreis bedeutet „Noch mal bitte“. Gebärden ermöglichen den Kindern, sich ohne Worte mitzuteilen.
Sprechen kann auch Robin nicht. Doch er klopft mit Begeisterung auf einen Sprachhelfer – eine Plastikscheibe, die im Unterricht von Sylvia Marte eine große Rolle spielt. Marte ist Heilpädagogin und eine der Lehrinnen im AtemReich. Denn für die Älteren gilt wie für alle Kinder in Bayern die Schulpflicht. Ihre vier Schüler – Robin, Helena, Moritz und Leni – sitzen ihr in ihren Rollstühlen im Halbkreis gegenüber und folgen dem Unterricht mit unterschiedlicher Aufmerksamkeit. Marte weiß aber: „Jedes Kind reagiert, wenn es seinen Namen hört.“ Und so spricht sie ihre Schüler immer mit dem Namen an und drückt ihnen abwechselnd den Sprachhelfer in die Hand. Wenn die Kinder die Scheibe drücken, ertönt ein Satz, den Marte zuvor aufgenommen hat. Helena zieht immer wieder ihren Schlauch ab, wenn sie mit den Händen wedelt. Nicht schlimm. Ein Pfleger, der den Unterricht stets begleitet, steckt ihn routiniert wieder zusammen. Robin muss hin und wieder abgesaugt werden. Das dauert kaum zwei Minuten – auch das ist im Kinderhaus Routine.
Nach dem Unterricht geht es zurück in die Wohngruppen, wo nachmittags Spiele und Therapien auf dem Programm stehen. Die Süßigkeiten auf dem Tisch im großen Aufenthaltsraum interessieren hier übrigens keines der Kinder. Nur wenige Kinder im AtemReich können essen, die meisten werden über Sonden ernährt. Weil sie schon als Babys intubiert wurden, ist alles, was mit dem Mund zu tun hat, für sie mit einem Trauma verbunden. Mundpflege erfordert deshalb viel Geduld. Andere Pflegemaßnahmen nehmen die Kinder gelassener hin. Robin etwa bekommt jetzt eine Rüttelweste angezogen, die seinen Oberkörper schüttelt, damit sich das Sekret in seinen Atemwegen lockert und abgesaugt werden kann. Er kennt die Prozedur und scheint sie lustig zu finden, denn er grinst vergnügt.
Was nach einem Besuch im AtemReich im Gedächtnis bleibt? Ganz sicher die Erkenntnis: Diese Kinder hier lachen trotz ihrer Handicaps genauso fröhlich wie alle anderen Kinder. Und sind manchmal sogar genauso frech. Wie schön.
CHRISTINE MERK