„Die Schmerzen waren unbeschreiblich“, sagt Patientin Carola (2. v. re.): Moderatorin Carolin Henseler (re.) sprach mit den Patientinnen (v. li.) Beate, Siegrid und Carola. © Markus Götzfried
Hautbläschen und Juckreiz sind typische Symptome der Gürtelrose. Entwickeln sich chronische Schmerzen, liegt dies daran, dass die Viren auch die Nerven beschädigen. © Friso Gentsch/dpa
München – 400 000 Menschen in Deutschland erkranken jedes Jahr neu an Gürtelrose. Schmerz-Experte Dr. Michael Überall aus Nürnberg, Präsident der Deutschen Schmerzliga, und Günter Rambach, der über die Deutsche Schmerzliga ehrenamtlich Menschen berät, die an chronischen Schmerzen leiden, erklärten bei einem Vortrag im Rahmen der GSK-Veranstaltung „Gürtelrose hat viele Gesichter“ im Pressehaus München die wichtigsten Punkte zu der unterschätzten Erkrankung.
■ Der Hautausschlag
Gürtelrose, in der Fachsprache Herpes Zoster genannt, ist kein harmloser Hautausschlag, sondern eine Viruserkrankung, die die Nerven schwer schädigen kann. Juckende und brennende Bläschen auf der Haut sind typisch. Charakteristisch ist ein meist halbseitig auftretender bandartiger Ausschlag, erklärt Dr. Überall: „Häufig befindet sich dieser im Bereich des Rumpfs, daher hat die Krankheit den Namen Gürtelrose“, erklärt der Experte. Aber Achtung: Die Viruserkrankung kann überall auftreten: Bei knapp zwölf Prozent der Fälle taucht die Gürtelrose an den Schultern auf, zitiert Dr. Überall Studien: „In über der Hälfte betrifft sie den Brustkorb, in gut 30 Prozent Bauch oder Flanke, in knapp zehn Prozent die Hüfte und in 15 Prozent sind Oberschenkel, Knie oder Unterschenkel betroffen, und besonders unangenehm und auch gefährlich wird die Nervenerkrankung, wenn sie am Kopf, im Gesicht oder am Nacken auftritt“, warnt der Experte. Noch bevor der Hautausschlag sichtbar wird, kündigt sich die Krankheit oft durch Vorboten an: Das sind stechende oder brennende Schmerzen sowie Missempfindungen, etwa Kribbeln oder Juckreiz. Manche Erkrankten fühlen grippeähnliche Symptome wie Abgeschlagenheit, Kopf- und Gliederschmerzen und erhöhte Temperatur.
■ Die Nervenschädigungen
Die Viren breiten sich über die Nervenbahnen aus. „Man kann es so beschreiben, dass die Viren die Nerven als Leitungen nutzen, um sich auszubreiten“, erklärt Experte Überall. „Doch sausen sie nicht einfach durch, sondern beschädigen auch die Nerven als Leitungsbahnen selbst. Diese können dann – ähnlich wie beschädigte Stromkabel – immer wieder für Kurzschlüsse sorgen, was die bei manchen Betroffenen plötzlich fast blitzartig einschießenden Schmerzen erklärt.“ Das Virus kann die Struktur der Nerven selbst und auch deren Versorgungsleitungen zerstören. Wegen diesen Schädigungen kann die Krankheit mit heftigen, über Wochen und Monate andauernden Schmerzen und weiteren Komplikationen einhergehen.
„Achtung, es gibt sogar Fälle, in denen der Hautausschlag ausbleibt, weil die Viren es nicht ganz bis zur Haut schaffen, aber dennoch die Nervenbahnen schädigen“, sagt Dr. Überall. Deshalb rät er, bei seltsamen und unerklärliche Schmerzen medizinischen Rat einzuholen – akute Gürtelrose sei wegen der drohenden Spätfolgen ein Notfall. Denn die anhaltenden Nervenschmerzen als Komplikation und Spätfolge treffen 20 Prozent der Erkrankten. In der Fachsprache spricht man von einem Postzosterschmerz, postherpetischer Neuralgie (PHN) oder von Post-Zoster-Neuralgie.
■ Schwere Verläufe
Vor allem bei älteren Personen oder bei geschwächtem Immunsystem kann eine Gürtelrose schwer verlaufen. Zu den möglichen Komplikationen gehören unter anderem eine Superinfektion der Haut mit Bakterien, Lähmungserscheinungen oder beim Befall des Auges beziehungsweise eines Ohres auch vorübergehende oder gar bleibende Sehstörungen, Störungen des Hörsinns oder des Gleichgewichts. Bei Menschen, deren Immunsystem mit zunehmendem Alter, durch eine andere Erkrankung (z. B. Corona oder Diabetes) oder gezielt therapeutisch (z. B. im Rahmen einer Chemotherapie) geschwächt ist, kann sich die Gürtelrose auf den ganzen Körper ausdehnen – dann kann sie sogar lebensbedrohlich werden.
■ Die Risikogruppen
„Quasi jeder kann an Gürtelrose erkranken“, sagt Dr. Überall. Der Grund: Ausgelöst wird die Gürtelrose durch dieselben Viren, die Windpocken verursachen. Dieses Virus, das nur im Menschen überleben kann, trägt fast jeder in sich, da es dem körperlichen Immunsystem nicht gelingt, es vollständig zu besiegen, sondern nur, es einzudämmen. „Das Virus zieht sich dann zurück in die Kerngebiete der Körper- und Hirnnerven, wo es in eine Art Winterschlaf verfällt und darauf wartet, dass das Immunsystem so weit geschwächt ist, dass es die Virusvermehrung nicht mehr unterdrücken kann“, erklärt Dr. Überall. Ursachen können das Alter, eine Krankheit, eine Immunschwäche, aber auch psychische Probleme wie ein Todesfall oder eine Depression sein.
Das erste halbe Jahr nach der Geburt haben Kinder noch einen sogenannten Nestschutz, in dieser Zeit schützen sie die von der Mutter übertragenen Antikörper. Wird dieser Immunschutz aber im Zuge der kindlichen Reifung abgebaut, kann das Kind an Windpocken erkranken. Außer, es wird gegen Varizellen, also die Erreger von Windpocken, geimpft. Seit 2004 gibt es in Deutschland eine allgemeine Impfempfehlung gegen Windpocken ab dem 11. Lebensmonat.
■ Behandlung bei Ausbruch
Wenn „der Schläfer in uns erwacht“, sich also die Varizellen-Viren wieder vermehren und ausbreiten, ist Eile geboten, um Nervenschäden zu verhindern. Ab dem zweiten oder dritten Tag bemerkt man erste Symptome. „Dann sollte man sofort zum Arzt beziehungsweise in ein Krankenhaus, denn man hat nur zwei bis drei Tage lang die Chance, ursächlich etwas gegen das Virus zu tun“, stellt Dr. Überall klar. „Danach kann man nur noch mehr schlecht als recht die Symptome behandeln, doch keine Nervenschäden mehr rückgängig machen.“ Die Bläschen auf der Haut heilen normalerweise nach zwei bis vier Wochen ab.
■ Chronische Schmerzen
Die betroffenen Hautbereiche können auch nach Abheilen der sichtbaren Symptome noch lange schmerzen und auf Berührungen empfindlich sein. Bestehen die Nervenschmerzen auch noch nach drei Monaten, spricht man von Post-Zoster-Neuralgie. „Die Erkrankung kann unvorstellbaren Pein auslösen“, sagt Günter Rambach, stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Schmerzliga. Diese betreibt montags bis freitags in der Zeit von 10 bis 12 Uhr unter der Telefonnummer 06431 / 49 72 400 ein Schmerztelefon. „Jeder vierte Anrufer leidet unter chronischen Schmerzen, die durch eine Gürtelrose verursacht wurden“, weiß Rambach. Er sagt: „Wer bei uns anruft, hofft auf eine Wunderpille, aber die gibt es nicht.“ Behandelt werden die Schmerzen mit lokalen Betäubungsmitteln wie Lidocain oder hochdosiertem Capsaicin, das ist der scharfe Wirkstoff aus Chili-Schoten, der bei Nervenschmerzen zur Linderung eingesetzt wird. Schmerzmittel wie Ibuprofen oder Paracetamol helfen nicht, da ihre Wirkweise bei den Nervenschmerzen keine nennenswerte Rolle spielt, erklärt der Schmerzexperte. Lindern die örtlichen Mittel die Schmerzen nicht, werden dann oft Medikamente gegeben, die eigentlich zur Behandlung von epileptischen Anfällen oder Depressionen gedacht sind, aber ihre erregungshemmende Wirkung auch bei Nervenschmerzen entfalten können. Auch Cannabinoide können verschrieben werden, in ganz schweren Fällen sogar Opioide, letztere jedoch sehr zurückhaltend wegen der Gefahren von Abhängigkeit und Missbrauch.
■ Mehrfache Erkrankungen
Gürtelrose kann wiederkommen, sagt Dr. Überall: „Wenn sie auftritt, ist das ein Zeichen dafür, dass das Immunsystem geschwächt ist.“ Mit jeder akuten Erkrankung steige das Risiko der nächsten und das Risiko, dass die Verläufe schlimmer werden, warnt der Experte und rät, sich über Möglichkeiten der Vorbeugung zu informieren (siehe unten).