Alkohol, Softdrinks und fehlender Sonnenschutz: Um die Krebsvorbeugung zu verbessern, rät Expertin Prof. Ute Mons zu einer Zuckersteuer, zur Verteuerung von Alkohol und zu guter Aufklärung – so tausende Krebsfälle zu verhindern. © Mauritius Images
München/Heidelberg – Stellen Sie sich vor, jedes Jahr würden zehntausende Menschen weniger an Krebs erkranken – allein durch ein bisschen weniger Rauchen, ein bisschen mehr Bewegung oder eine andere Ernährung. Klingt zu schön, um wahr zu sein? Ist es aber nicht. Denn ein großer Teil der Krebsfälle in Deutschland ist vermeidbar – das beweist Prof. Ute Mons, eine der renommiertesten Expertinnen für Krebsprävention eindrucksvoll.
Die Epidemiologin und Public-Health-Forscherin vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg hat gemeinsam mit ihrem Team für Deutschland berechnet, wie viele Krebserkrankungen auf das Konto von selbst beeinflussbaren Risikofaktoren gehen – also Faktoren, die jeder Einzelne durch seinen Lebensstil aktiv mitgestalten kann. Dazu gehören unter anderem Rauchen, Alkoholkonsum, Übergewicht, Bewegungsmangel und ungesunde Ernährung.
Doch Mons’ Arbeit geht noch weiter: Sie simuliert mithilfe komplexer Rechenmodelle, wie viele dieser Krebsfälle durch politische Maßnahmen verhindert werden könnten – zum Beispiel durch höhere Tabaksteuern, Warnhinweise auf Alkoholflaschen oder Bewegungsprogramme im Schulalltag. Für diese zukunftsweisende Forschung wurde Ute Mons nun mit dem diesjährigen Hauptpreis für Krebspräventionsforschung ausgezeichnet. Und ihre Erkenntnisse kommen genau zur richtigen Zeit: Denn obwohl das Wissen über gesunden Lebensstil so verbreitet ist wie nie, steigen die vermeidbaren Krebserkrankungen weiterhin an.
Wir haben mit Ute Mons über ihre Forschung, politische Verantwortung und die Frage gesprochen, warum es so schwer ist, gesünder zu leben – obwohl die Fakten längst auf dem Tisch liegen. Das Interwiev:
Frau Prof. Mons, Sie haben untersucht, wie viele Krebsfälle in Deutschland eigentlich vermeidbar wären. Was hat Sie an Ihren Ergebnissen am meisten überrascht?
Ganz ehrlich? Mich hat schockiert, wie wenig daraus gemacht wird. Es gibt international längst ähnliche Daten – die Größenordnung war also keine Überraschung. Aber dass unsere Gesundheitspolitik so tatenlos bleibt, obwohl es um rund 85 000 vermeidbare Krebsfälle pro Jahr geht, das ist wirklich bitter. Die Medien haben darüber berichtet, Politiker auch – aber statt zu handeln, wird die Verantwortung auf den Einzelnen abgewälzt.
Welche Maßnahmen wären denn sinnvoll?
Wir wissen aus anderen Ländern und aus Studien sehr genau, was wirkt. Wichtig ist: Die Menschen müssen es leicht haben, sich gesund zu verhalten – im Alltag, im Kleinen. Zum Beispiel durch Schattenplätze auf Schulhöfen oder in Kitas. Oder durch bessere Rahmenbedingungen beim Essen, in der Freizeit.
Und der stärkste Hebel? Steuern. Ganz konkret: die Tabaksteuer erhöhen. In Deutschland ist das viel zu zaghaft passiert.
Auch Alkohol ist hierzulande spottbillig. Eine Preissteigerung um zehn Prozent beim Tabak senkt den Konsum um fünf Prozent – das ist wissenschaftlich belegt. Und bei Zucker würde eine Steuer der Industrie endlich den Anreiz geben, ihre Produkte gesünder zu machen. Nebenbei würde der Staat auch noch zusätzliche Einnahmen generieren, die man direkt in Prävention oder die Behandlung stecken könnte.
Und was genau könnte mit diesem Geld passieren?
Man könnte echte Präventionsprogramme aufbauen – in Kitas, Schulen, Gemeinden. Groß angelegte Informationskampagnen starten. Oder eine gesunde Schulverpflegung bezuschussen. Die Krankenkassen würden profitieren – langfristig und nachhaltig. Es fehlt aber der politische Wille. Gerade wenn Parteien mitregieren, die der Wirtschaft besonders nahestehen, wird es schwierig.
Viele wissen doch längst, dass Rauchen oder Alkohol ungesund sind. Warum ändert sich trotzdem so wenig?
Weil wir Menschen eben träge Gewohnheitstiere sind. Verhaltensänderung ist verdammt schwer. Wer raucht, weiß meist, dass es ungesund ist – aber Nikotin macht süchtig, das wird oft unterschätzt. Die Produkte sind genau dafür gemacht. Dazu kommt: überall Werbung für Ungesundes, ungesunde Lebensmittel im Sonderangebot, unklare Kennzeichnung. Wer sich gesund ernähren will, muss sich durchkämpfen. Wer mit dem Rad zur Arbeit will, um körperliche Aktivität in den Alltag zu integrieren, fragt sich oft: Riskiere ich mein Leben im Stadtverkehr?
Sie forschen auch zur personalisierten Prävention. Was bedeutet das?
Das heißt, dass wir gezielter auf Risikogruppen eingehen – etwa bei familiärer Häufung von Brust- oder Darmkrebs. Es gibt neue Ansätze zur Früherkennung, sogar medikamentöse Prävention wird erforscht. Es wird nie die eine Pille gegen Krebs geben. Aber wir können bestimmten Menschen individuell helfen – zum Beispiel Schichtarbeitern, für die der Walkingkurs um 10 Uhr vormittags einfach nicht funktioniert. Präventionsangebote müssen flexibler und passender werden.
Und beim Thema Raucherentwöhnung?
Da hapert es gewaltig. Wir haben in Deutschland keine zentrale Anlaufstelle. Hausärzte wissen oft nicht, wohin sie ihre Patienten verweisen sollen. In England ist man da deutlich weiter. Unsere Strategien stecken noch in den Kinderschuhen – wir arbeiten daran, das zu ändern. Ein Beispiel: Wer vor dem 25. Lebensjahr nicht mit dem Rauchen angefangen hat, tut es meist nie. Jugendschutz wirkt also. Nur bei Erwachsenen fehlen bislang gute Anreize zum Aufhören.
SUSANNE HÖPPNER