Bei welcher Erkrankung welche Musiktherapie hilft

von Redaktion

Ob Schmerzen, Depression, Krebs oder Demenz: Musiktherapie lindert Beschwerden und fördert die Gesundung

Singen hat positive Auswirkungen auf den Körper, das Gedächtnis und auf die Psyche. © Robert Günther/dpa-tmn

Setzt auf heilende Klänge: Musiktherapeutin und psychologische Psychotherapeutin Dr. Frauke Schwaiblmair © privat

München – Musiktherapie kann genauso wirkungsvoll wie ein Opioid oder eine Verhaltenstherapie sein – dies betont Prof. Lutz Neugebauer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Musiktherapeutischen Gesellschaft (DMtG). Die Effektivität zeigten unter anderem 1500 randomisierte, kontrollierte Studien. „Heute gehört die Musiktherapie im stationären Bereich zum bewährten Behandlungskonzept etwa bei Angststörungen, Depressionen und Suchtproblematiken oder bei Folgen von Einsamkeit und Isolation“, erklärt der Experte und betont, dass auch im ambulanten Bereich viel Bedarf sei – wo die Therapien aber leider bislang keine Kassenleistung seien. Um an einen qualifizierten Musiktherapeuten zu kommen, rät Dr. Frauke Schwaiblmair dazu, diesen über die Homepage der DMtG zu suchen (https://www.musiktherapie.de/standort/). „Leider werden wir immer in die Nähe der Esoterik gerückt, und deshalb empfehlen wir, bei der Therapeutensuche auf die Qualifizierung zu achten“, rät die Musiktherapeutin und psychologische Psychotherapeutin aus Gräfelfing. Denn man müsse klar unterscheiden zwischen Musikhören, gemeinsamen musizieren oder im Chor singen und dem Einsatz von Musik in einer Therapie, stellt die Expertin, die Vorstandsmitglied der DMtG ist, klar. Experten erklären, welche musiktherapeutische Form bei welchen Krankheiten hilft:

Chronische Schmerzen

Besonders gut erforscht und erprobt sind musiktherapeutische Anwendungen bei chronischen und akuten Schmerzen – aktiv durch Musizieren oder passiv durch das Zuhören. „Insgesamt ist ihre Wirkung hier ähnlich gut wie die Behandlung mit Opioiden, jedoch ohne unerwünschte Nebenwirkungen“, sagt Expertin Prof. Sabine C. Koch, Direktorin des Forschungsinstituts für Künstlerische Therapien an der Alanus Hochschule Bonn. Darüber hinaus verbessere Musiktherapie körperliche Funktionen und Schlafqualität und lindere Müdigkeit, Angst und Depression. Dr. Frauke Schwaiblmair erklärt, dass Musiktherapie zum einen hilft, die Schmerzen anders wahrzunehmen, zudem resultieren Schmerzen oft auch zumindest zum Teil aus Verspannungen, die sich durch Musik lindern lassen.

Therapie für Frühgeborene

„Bei Frühgeborenen bringt Musiktherapie bewegende Erfolge“, sagt Dr. Frauke Schwaiblmair. Denn insbesondere ganz ruhige monochrome Töne ermöglichen es den Frühchen, ruhig zu werden. Die Therapie wirkt sich positiv aus auf die Herz- und Atemfrequenz, auf Blutdruck und Schmerzwerte, sie steigert Sauerstoffsättigung und Schlafdauer. Zudem ermöglicht sie den Eltern, mit ihren Kindern in Beziehung zu treten – und dies sogar auf der Intensivstation. Zudem stärkt kreative Musiktherapie die Vernetzung der Hirnregionen, die für das Denken, das Hören, die Feinmotorik und die emotional-soziale Verarbeitung zuständig sind.

Hilft bei Krebs gegen die Angst

Bei Krebspatienten hilft Musiktherapie, Angstzustände, Depressionen, Schmerzen, Müdigkeit, Herzfrequenz und Blutdruck zu senken. „Die Menschen können mit der Musik ihre Gefühle ausdrücken und sortieren und können so die Situation greifbarer machen und dem Gefühl des Ausgeliefert-Seins etwas entgegensetzen“, sagt Dr. Frauke Schwaiblmair. Hier sei Musiktherapie ebenso wirkungsvoll wie eine Verhaltenstherapie – und insbesondere bei unheilbaren Erkrankungen helfe sie sehr, da auch die Abbruchquote im Vergleich zu reinen Gesprächstherapien geringer sei. Musik gibt den Betroffenen die Möglichkeit, Gefühle, die sie vielleicht nicht in Worte fassen können, beispielsweise mit einer Trommel auszudrücken.

Behandlung von Autismus

Autistische Kinder tun sich schwer mit zwischenmenschlichen Kontakten. Sie nehmen die Welt anders wahr und können es oft nicht gut regulieren, wenn viele Eindrücke auf sie einprasseln. Hier verbessern musiktherapeutische Anwendungen Verhaltenssymptome, Sprache und soziale Fähigkeiten, sagt Dr. Frauke Schwaiblmair. „Wie die Musik eingesetzt wird, ist unterschiedlich: Man kann mit Stimme, Rhythmus und Musik arbeiten. Laufen die Kinder beispielsweise unruhig auf und ab, kann ich versuchen, zu jedem Schritt zu trommeln, um so eine Interaktion zu erreichen“, berichtet die Expertin. Aufgrund ihrer Wirksamkeit ist Tanztherapie in die S3-Leitlinie Autismus aufgenommen worden. Insbesondere Rhythmus scheint Orientierung und Sicherheit zu geben.

Stabilisierung bei Parkinson

Auch bei Morbus Parkinson hilft Tanzen – Tango verbessert nicht nur motorische Fähigkeiten wie Gehen und Balance halten, er steigert auch die Lebensqualität und ist eine vielversprechende nicht-medikamentöse Therapieoption zur Stabilisierung von Menschen mit Parkinson. „Der Tanz und die Musik bringen Lebensfreude und Lebensqualität zurück und helfen, mit dem durch die Krankheit stattfindenden körperlichen Abbau zurechtzukommen“, berichtet Dr. Frauke Schwaiblmair.

Gute Wirkung bei Demenz

Musik hat bei Demenz eine positive Wirkung, weil man mit ihr Gefühle verändern kann, Erinnerungen wieder wach werden lassen und Traurigkeit bekämpfen kann, sagt Monika Schmid. Die Musiktherapeutin arbeitet am Marion von Tessin Memory Zentrum in München mit Menschen mit Demenz. „Vor allem Chorgesang hebt die Stimmung sogar bei depressiven Symptomen und verbessert die kognitiven Leistungen“, sagt Monika Schmid. Sie singe mit den Menschen alte Volkslieder „Das Wandern ist des Müllers Lust“ oder Schlager wie „Mit 17 hat man noch Träume“ oder „Schön ist es, auf der Welt zu sein“. „Die Menschen kennen diese Lieder aus ihrer Kindheit und Jugend und freuen sich, dass sie textsicher sind“, sagt Monika Schmid. Ein Erfolgserlebnis, das sehr wichtig ist für Menschen, die sich wegen ihrer Demenz immer schlechter zurechtfinden. „Das Gemeinschaftserlebnis beim Singen tut ihnen gut, viele singen auch noch weiter, wenn die Musiktherapie zu Ende ist“, erzählt sie und gibt den Tipp, sich Zeit zu nehmen, gemeinsam zu singen und Musik zu hören: „Das stärkt die Beziehungen und die Dementen erleben Erfolge, wenn sie beispielsweise einen Text können, den der Enkel gar nicht kennt.“ Der Grund sei, dass Liedtexte in anderen Gehirnregionen abgespeichert werden, ergänzt Therapeutin Dr. Frauke Schwaiblmair: „Die gesungene Sprache ist bei Demenz und Aphasie oft auch dann noch abrufbar, wenn die gesprochene Sprache nicht mehr zur Verfügung steht.“

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