Unser aufregendes Leben mit Charlie

von Redaktion

Sylvia und Bernd E. haben gern einen Vogel.

Beim Baden: Charlie hat im Haus viel Platz.

So sieht es draußen aus: Bernd E. zeigt Charlie den Garten.

Immer hungrig: Charlie fordert lautstark Futter.

Liebevoll wurde Charlie aufgepäppelt.

Aus dem Nest geworfen: Charlie, wie er gefunden wurde.

Gute Pflege zahlt sich aus: Aus dem hilflosen Vogelkind ist ein selbstbewusstes Amselmännchen geworden, das mittlerweile Nachwuchs aufgezogen hat. © Privat (7)

München – Sylvia (62) und Bernd E. (59) aus der Lerchenau sind zu Empty Nester geworden – seit sechs Wochen ist ihre von Hand aufgezogene Amsel ausgeflogen. Doch falls Charlie nun plötzlich ins Haus segeln würde, wäre sein liebster Schlafplatz auf dem Dachboden bereit und im Gefrierschrank wartet natürlich eine große Portion Mehlwürmer – sein absolutes Lieblingsessen.

Vor drei Jahren, die Sekretärin hatte eine Homeoffice-Tag, lockte sie ein großes Vogelgeschrei in den Garten: „Eine Elster hatte ein Amsel-Junges attackiert und aus dem Nest geworfen.“ Das Vogelkind war schwer zerzaust, die Beinchen gebrochen, der Schnabel ganz blutig. Sylvia E. stülpte einen Eimer über das schwer verletzte Vögelchen und alarmierte eine Nachbarin, die sich mit der Aufzucht von Vögeln auskennt. Ihre Tipps: Das Vogelbaby warmhalten und mit Aufzuchtfutter füttern. Eine befreundete Tierärztin schiente die Beinchen. Sylvia und Bernd tauften den Familienzuwachs Charlie: „Der Name passt für ein Männchen genauso wie Weibchen.“

Der Kleine erholte sich, rief energisch nach Futter, die Beinchen heilten, aber wuchsen leider schief zusammen: „Richtig an einem Ast festkrallen, kann er sich nicht“, so Sylvia E.. Bei Sonnenaufgang mussten die Pflegeeltern nun aufstehen und bereit sein für die Brutpflege. Charlie gedieh und begann im Wohnzimmer herumzuflattern, ins Freie jedoch traute er sich nicht. „Der Vogel war ja im Haus aufgewachsen, draußen war alles neu für ihn. Doch mein Mann lief mit ihm stundenlang durch den Garten.“ Geduldig wurde Charlie mit den Bäumen, dem Rasen und den Blumen bekannt gemacht.

Die Auswilderung gelang: Charlie wurde flügge, allerding kam er zum Schlafen immer wieder zurück ins Haus: Zunächst war das Wohnzimmer sein Reich, später suchte er sich eine dunkle Ecke in der Küche und je besser er fliegen konnte, desto höher wollte er die Nacht verbringen, bis er sich schließlich im Dachboden am wohlsten fühlte.

Geht die Sonne unter, öffnen die menschlichen Pflegeeltern ein Fenster und machen das Licht an: Dann weiß Charlie, er kann jetzt heimkommen. Ist mal kein Fenster geöffnet, flattert er ans Wohnzimmer- oder Küchenfenster und klopft an die Scheibe. „Als wolle er fragen, warum wir ihn nicht reinlassen“, schmunzelt Sylvia E. Man kann sagen, Charlie hat seine Eltern gut erzogen!

Fährt das Ehepaar in Urlaub, übernimmt eine liebe Nachbarin („Charlies Tante“) die Aufgabe, den Vogel morgens ins Freie zu lassen und abends darauf zu achten, dass er wieder heimsegeln kann. Und so sehr Charlie seinen Rückzugsort schätzt, sich zwischen den sicheren vier Wänden ausruht und an Mehlwürmern und Äpfeln sattfrisst, zahm sei er nie geworden. „Von Anfang an brauchte er seine Freiheit. Er lässt sich nicht einsperren und das haben wir auch nie versucht.“ Charlie komme nicht auf die Hand oder fliege auf die Schulter, so Sylvia E.: „Allerdings zwickt er uns in die Finger, wenn wir beim Füttern zu langsam sind.“

Als Charlie zum ersten Mal selbst eine Familie gründet – schleppte er im Stundentakt Mehlwürmer aus dem Haus und präsentierte einige Wochen später seinen Nachwuchs. „Das junge Männchen kommt mittlerweile auch und holt sich Futter“, so Sylvia E.. Allerdings wurde Charlie von dem Nachwuchs aus dem Revier im Garten vertrieben und muss jetzt heimlich ins Haus fliegen. „Wir haben viel über Vögel und die Natur gelernt“, so Sylvia E., die auch sagt: „Der Tag der Elsterattacke war ein großer Glückstag für Charlie, aber auch für uns!“ Noch ist der gute Tisch im Wohnzimmer mit einer Plastikdecke abgedeckt, dort wo Charlie gern hockt, liegen Handtücher. Das alles stört Sylvia und Bernd E. nicht: „Würden hier keine Tücher liegen, wäre etwas Schlimmes mit Charlie passiert.“

In freier Wildbahn werden Amseln meist nicht älter als fünf Jahre, aber es gibt Beispiele, wo Vögel zehn Jahre und länger lebten. So wurde ein auf Helgoland 1974 beringtes Weibchen in einem Alter von 22 Jahren und drei Monaten wieder angetroffen. Wie alt es wurde, ist nicht bekannt. Sylvia und Bernd E. hoffen jetzt, dass es ihrem Charlie gut geht und er bald mal wieder auf Besuch vorbeiflattert: „Von uns aus darf er 100 Jahre alt werden und natürlich bei uns wohnen!“

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