Lecanemab richtet sich gegen Amyloid-Ablagerungen im Gehirn und soll dadurch den Verlauf der Krankheit ein wenig verlangsamen. © Lutz Kracht/MPI/DPA
Lecanemab wird per Infusion verabreicht. Seit 1. September ist das Alzheimer-Medikament nun auch in Deutschland verfügbar. Experten dämpfen dennoch die Hoffnungen, da es nur für rund zehn bis 20 Prozent der Patienten infrage kommt. © Smarterpix
München – Seit heute gibt es neue Hoffnung für Patienten mit Alzheimer-Demenz, an der in Deutschland mehr als 1,8 Millionen Menschen leiden. Das neue Medikament Lecanemab kann die Betroffenen zwar nicht heilen, wohl aber den Verlauf erheblich verlangsamen. Seit dem heutigen 1. September ist Lecanemab, das im Mai zugelassen wurde, in Deutschland verfügbar.
Millionen von Hoffnungen hängen an diesem neuen Medikament. Alzheimer-Experte Dr. Jürgen Herzog, Ärztlicher Direktor der Schön Klinik Schwabing, erklärt, wie das Medikament wirkt und dämpft zugleich die Hoffnungen: „Schätzungsweise kommt es in Deutschland zunächst nur für 10 000 bis 20 000 Demenzpatienten wirklich infrage.“ Er rät zu „ausführlicher Beratung statt blinder Begeisterung“ und erklärt die Ausschlusskriterien:
So wirkt Lecanemab:
Lecanemab ist ein Antikörper-Wirkstoff, der sich im Gehirn gezielt an krankmachende Eiweißstoffe heftet und dazu beiträgt, dass diese abgebaut werden. Konkret richtet sich Lecanemab gegen sogenannte Beta-Amyloid-Proteine, die sich bei einer Alzheimer-Erkrankung im Gehirn ablagern und zum Absterben von Nerven beitragen. Das Medikament, ein sogenannter monoklonaler Antikörper, aktiviert das körpereigene Immunsystem, sodass es die Ablagerungen bekämpft. Der Unterschied von Lecanemab und den bisher verfügbaren Therapien ist, dass Lecanemab direkt bei einer zentralen Ursache der Erkrankung ansetzt. Das Medikament wirkt umso besser, je früher es angewendet wird, sagt Dr. Herzog.
Die Voraussetzungen der Behandlung
Demenz im Frühstadium: Lecanemab kann Patienten helfen, bei denen leichte kognitive Beeinträchtigungen oder eine leichte oder frühe Demenz diagnostiziert wurden. „Wichtig ist der Nachweis mit einem biomarkerbasierten Test“, sagt Dr. Herzog. Hierzu gibt es zwei Verfahren: Zum einen kann alzheimertypisches Eiweiß im Nervenwasser, in der Fachsprache heißt es Liquor, aufgespürt werden. Die zweite Möglichkeit ist ein Nachweis per bildgebendem Verfahren mit einem sogenannten PET-Scanner (Positronen-Emissions-Tomographie): Mit der PET-Diagnostik können die für Alzheimer-Demenz charakteristischen Ablagerungen im Gehirn sichtbar gemacht werden, oft schon bevor Symptome auftreten. Hierzu bekommt der Patient eine schwach radioaktive Substanz gespritzt, die sich an die Amyloid-Plaques im Gehirn heftet und diese dann im PET-Scanner sichtbar macht, erklärt der Experte.
Kein erhöhtes Risiko für Nebenwirkungen: „Ausgeschlossen sind zudem Personen mit einem bestimmten genetischen Merkmal, welches das Risiko für gefürchtete Nebenwirkungen wie einem Hirnödem, also Wasseransammlungen im Gehirn, oder kleinen Einblutungen im Gehirn stark erhöht“, sagt Dr. Herzog und erklärt: Ob dieses erhöhte Risiko besteht, ist ganz einfach per Bluttest feststellbar, den auch die gesetzlichen Krankenkassen bezahlen. Gesucht wird im Blut nach einem bekannten Risiko-Gen für Alzheimer, in der Fachsprache heißt es ApoE4-Gen oder auch Apolipoprotein E. Von diesem Gen darf nur maximal eine Kopie vorliegen – werden zwei Kopien nachgewiesen, kann Lecanemab nicht verschrieben werden.
Kein erhöhtes Risiko für Blutungen: Menschen mit schlecht eingestelltem Bluthochdruck oder jene, die blutverdünnende Medikamente wie Marcumar nehmen, sind auch ausgeschlossen. Die Einnahme von Aspirin steht einer Verschreibung von Lecanemab dagegen nicht entgegen.
Hausärzte bei der Patientenauswahl gefragt: „Auf die Hausärzte kommt von Anfang an eine wichtige Aufgabe zu“, sagt Dr. Herzog: Die Vorauswahl der Patienten, die für eine Lecanemab-Therapie infrage kommen könnten: „Hierzu braucht es Suchtests wie den Mini-Mental-Status-Test (MMST) oder den MoCA-Test, solche Test benötigen rund eine Viertelstunde“, sagt Dr. Herzog.
Die Therapie ist aufwendig: „Die Therapie dauert mindestens eineinhalb Jahre und bedeutet einen hohen organisatorischen Aufwand“, sagt Dr. Herzog. Die Patienten bekommen alle 14 Tage Infusionen, eine Infusionsgabe dauert rund eine halbe Stunde. Nach zwölf Monaten kann vermutlich auf eine monatliche Infusionsgabe umgestellt werden. Vier Mal müssen die Patienten während der Therapie eine Kernspintomografie von ihrem Kopf machen, um mögliche Blutungen und Ödeme, die Nebenwirkungen sein können, früh zu entdecken – in einem solchen Fall wird die Therapie pausiert oder sogar abgebrochen.
Die Kostenfrage ist noch ungeklärt: Der Preis für ein neu zugelassenes Medikament wird für das erste Jahr vom Hersteller festgesetzt. Bei wem die Kosten von den Krankenkassen übernommen werden, ist noch unklar. Parallel beginnen Gespräche zwischen dem Hersteller und den Akteuren des deutschen Gesundheitssystems, um den Preis des Medikamentes und die Kostenübernahme durch die Kassen langfristig auszuhandeln. In den USA kostet Lecanemab pro Jahr 26 500 Dollar, hinzu kommen Kosten für die Verabreichung der Substanz und die für eine Therapie erforderlichen Begleituntersuchungen.SUSANNE SASSE