RSV bringt Ältere in Gefahr

von Redaktion

Das RSV-Virus kann für Ältere gefährlich werden. Leider wird die Gefahr der Erkrankung noch immer unterschätzt. © Smarterpix

München – „Alles begann ganz harmlos“, beschreibt Jutta B. ihre ersten Symptome. „Ich war spazieren, genoss die frische Luft. Als meine Nase juckte, tippte ich erst mal auf meine Pollenallergie. Am Abend dann fühlte sich mein Gaumen entzündet an, und ich dachte an eine Erkältung.“ Doch schon am nächsten Tag spürte die 65-jährige Münchnerin, dass das keine normale Erkältung war. „Alles rutschte tiefer und legte sich auf die Bronchien, die Schleimhäute reagierten empfindlich, ich hustete.“ Und dann kam die schlimmste Nacht ihres Lebens: „Ich hatte das Gefühl, die Bronchien seien zu, ich hustete und röchelte, bekam kaum mehr Luft und wurde panisch… Dennoch habe ich mich nicht getraut, wegen einer ‚vermeintlich banalen Erkältung‘ den Notarzt zu rufen.“ Ein PCR-Test bei der Hausärztin brachte schließlich Klarheit: Jutta B. hatte sich mit dem RSV (Respiratorisches Synzytial-Virus) infiziert. „Ich war schockiert, denn ich dachte immer, RSV sei eine Kinderkrankheit…“

Was viele nicht wissen: Das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) ist längst nicht mehr nur ein Thema, das Kinder betrifft. Auch Erwachsene – besonders über 60 oder mit chronischen Vorerkrankungen – sind stark gefährdet. Und sie erkranken oft schwerer als bei einer Grippe. Mehr als 380 000 über 60-Jährige erkrankten 2019 in Deutschland an RSV.

„Viele Erwachsene unterschätzen das Risiko“, warnt Prof. Tino F. Schwarz, Impfexperte und Chefarzt am Institut für Laboratoriumsmedizin am Klinikum Würzburg Mitte. „RSV wird noch immer hauptsächlich mit Babys und Kleinkindern in Verbindung gebracht. Aber es gibt immer mehr sehr schwere Verläufe bei älteren Erwachsenen. RSV ist eine massiv unterschätzte Gefahr.“ Die Symptome eskalieren in der Regel rasch: Was mit Schnupfen, Husten, Halsschmerzen und Fieber beginnt, kann sich innerhalb weniger Tage zu schwerer Atemnot entwickeln. „Ganz charakteristisch bei RSV sind die typischen Symptome im Bereich der unteren Atemwege – Husten, Atemnot und Röcheln. Anders als bei der Grippe, die eher die oberen Atemwege betrifft“, weiß Prof. Schwarz. Auch Erschöpfung und Lungenkomplikationen sind bei älteren und vorerkrankten Patienten keine Seltenheit.

RSV kann schwere Reaktionen auslösen

Das Gefährliche an RSV ist sein Mechanismus: „Das Virus lässt Zellen in den Atemwegen miteinander verschmelzen. Es entstehen sogenannte Syncytien–Zellklumpen, die die feinen Atemwege verstopfen“, erklärt Prof. Schwarz. „Das ist dann kein banaler Husten mehr, sondern kann mechanisch zu echter Luftnot werden!“ Bei Vorerkrankten kann RSV sogar bestehende Leiden wie Asthma oder Herzinsuffizienz dramatisch verschlechtern. Auch Lungenentzündungen sind keine Seltenheit. Im schlimmsten Fall können RSV-Infektionen sogar kaskadenartige Reaktionen im Körper auslösen: Entzündungsprozesse, die zur Blutverklumpung führen, begünstigen Herzinfarkte oder Schlaganfälle.

Prof. Schwarz: „Immerhin eine von vier nachgewiesenen RSV-Infektionen bei über 60-Jährigen endet im Krankenhaus – und das im Durchschnitt für zehn bis 18 Tage. Zehn bis 25 Prozent davon landen auf der Intensivstation, acht bis zwölf Prozent müssen künstlich beatmet werden. Die Sterblichkeit liegt bei bis zu elf Prozent.“

Hinzu kommt: RSV ist hochgradig ansteckend – dreimal infektiöser als Influenza. Die Reproduktionszahl liegt etwa bei 3 (zum Vergleich: Grippe rund 1,3; Corona 0,8 %). Das bedeutet: Ein Infizierter kann im Schnitt drei weitere Personen anstecken. Besonders tückisch: Auch wer schon einmal RSV hatte, ist nicht immun und kann erneut erkranken.

Eine spezifische Therapie gegen RSV fehlt bislang. Die Behandlung ist rein symptomatisch – Inhalationen, fiebersenkende Mittel, Sauerstoffgabe. „Umso wichtiger ist die Prävention“, sagt Prof. Schwarz.

Heuer gibt es erstmals Impfstoff für Ältere

Und hier gibt es gute Nachrichten: Seit Herbst 2024 stehen in Deutschland erstmals drei verschiedene Impfstoffe gegen RSV für Erwachsene zur Verfügung – ein proteinbasierter Impfstoff mit Adjuvans (Wirkverstärker), ein proteinverstärkter Impfstoff sowie ein mRNA-Impfstoff. „Die STIKO empfiehlt eine einmalige Impfung als Standard für alle ab 75 Jahren sowie für Menschen zwischen 60 und 74 mit schweren Grunderkrankungen.“

„Wir beobachten bei älteren Menschen einen Rückgang der Immunzellen, die eigentlich auf das Virus reagieren müssten“, sagt Schwarz. „Deshalb ist die Impfung gerade in dieser Altersgruppe so wichtig – sie hilft dem Immunsystem, rechtzeitig zu reagieren. Die Impfung kann nicht nur schwere Verläufe verhindern – sie senkt auch das Infektionsrisiko.“ Die Nebenwirkungen sind laut Studien mild: lokale Reaktionen, leichte Kopf- oder Muskelschmerzen. Die Kosten für die Impfung übernimmt die Krankenkasse. Für Jutta B. kommt die Impfung zu spät. Inzwischen geht es ihr zwar besser – aber noch immer fehlt es ihr an Energie: „RSV ist kein Schnupfen. Ich will, dass andere wissen, was das Virus anrichten kann. Damit es ihnen nicht so ergeht wie mir! Und nächstes Jahr lasse ich mich impfen!“

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