Einsatz gegen den Gefäß-GAU: Ärzte beseitigen mit einer Thrombektomie ein Blutgerinnsel im Gehirn. © Foto: MüK
Schnelle Hilfe für Schlaganfall-Patienten: Die fliegenden Ärzte (Flying Intervention Team) sind inzwischen zu 1000 Einsätzen ausgerückt. © Foto: MüK
München – Diese Retter schickt der Himmel: Von der München Klinik Harlaching aus starten Spezialisten zu 15 südostbayerischen Kliniken, um Schlaganfall-Patienten schnell und effektiv zu behandeln. Sie werden immer dann zu Hilfe gerufen, wenn die Blutgerinnsel aus dem Gehirn mit einer Thrombektomie entfernt werden sollen – ein komplexer Eingriff, den nur spezialisierte Neuroradiologen durchführen können. Jetzt haben die Luftretter nach rund 1000 Einsatzflügen Bilanz gezogen. Das Ergebnis: Durch die einzigartige Luftbrücke konnten die Patienten schneller und effektiver behandelt werden.
Diese Erkenntnis untermauerte das „Flying Intervention Team“ (FIT) gestern mit Daten aus einer großen Auswertung. Daraus geht hervor, dass durch die Flüge im Schnitt 90 Minuten eingespart und die Patienten entsprechend früher mit der Thrombektomie behandelt werden konnten. „Das ist ein Riesenvorteil und hilft, bleibende Schäden zu reduzieren bzw. zu verhindern. Nach einem schweren Schlaganfall sterben jede Minute etwa 1,9 Millionen Nervenzellen im Gehirn ab“, berichtet der Harlachinger Neurologe und Projektleiter der fliegenden Ärzte, Dr. Gordian Hubert. Außerdem zeigte sich, dass die vom FIT-Team schnell versorgten Patienten später weniger Behinderungen und mehr Lebensqualität hatten als ihre Leidensgenossen, die ohne die schnelle Hilfe aus der Luft therapiert wurden.
Ein Paradebeispiel ist Dr. Gerhard Engler aus Bad Aibling. Der 81-jährige Kinderarzt stürzte nach einem Schlaganfall: „Ich war halbseitig gelähmt.“ Nicht einmal zwei Stunden nach Beginn der Symptome hoben in München bereits die Luftretter ab, im Aiblinger Krankenhaus wurde alles für die Thrombektomie vorbereitet. Eine halbe Stunde später war das verstopfte Gefäß wieder frei. „Meine Halbseitenlähmung ist komplett weg, ich bin geistig und feinmotorisch fit.“
Bei der Thrombektomie werden Blutgerinnsel mithilfe eines hauchdünnen Katheterschlauches manuell direkt aus dem Gehirn gezogen – vom Grundprinzip her ähnlich wie nach einem Gefäßverschluss bei einem Herzinfarkt. Die Technik wird immer weiter verfeinert. So gelangen die Spezialisten mit dem Katheterschlauch sogar in Blutgefäße mit einem Durchmesser von nur zweieinhalb Millimetern.
Nach einem Schlaganfall gilt eine goldene Regel: Der Patient sollte so schnell wie möglich in eine spezielle Schlaganfall-Ambulanz gebracht werden, der internationale Fachbegriff dafür heißt Stroke Unit. Doch nur wenige Kliniken haben auch spezialisierte Neuroradiologen im Team, die in der Thrombektomie ausgebildet sind. Deshalb mussten Patienten, die mit dem Verfahren behandelt werden sollten, früher stets in ein entsprechendes Zentrum verlegt werden. Beim FIT-Konzept wird das Prinzip umgekehrt: Die Ärzte kommen direkt zu den Patienten. Während die Münchner Spezialisten noch im Anflug sind, werden die Schlaganfall-Opfer in den Partnerkliniken bereits für den Eingriff vorbereitet – vom Transport in den Behandlungsraum bis zur Einleitung der Narkose. Dank der Netzwerk-Struktur greift ein Rädchen ins andere.
Die Entscheidung, ob eine Thrombektomie sinnvoll ist, wird zuvor in einer Live-Schalte zwischen den behandelnden Ärzten in der jeweiligen Klinik und den Thrombektomie-Spezialisten in München gemeinsam getroffen. Dieses Netzwerk heißt TEMPiS – sozusagen die Basis für den Einsatz der fliegenden Ärzte.
Die Münchner Spezialeinheit steuert folgende 15 südostbayerische Kliniken an: das Krankenhaus Agatharied, das Klinikum Altötting, die Stadtklinik Bad Tölz, die Klinik Burglengenfeld, das Krankenhaus Cham, das Klinikum Dingolfing, die Kreisklinik Ebersberg, das Krankenhaus Eggenfelden, das Klinikum Erding, das Klinikum Freising, das Klinikum Landshut, das Klinikum Mühldorf, das Klinikum Rosenheim, das Krankenhaus Rotthalmünster und das Krankenhaus Vilsbiburg.
Die Auswertung der wissenschaftlichen Daten der Lufteinsätze wird vom bayerischen Gesundheitsministerium gefördert. Ministerin Judith Gerlach sprach gestern bei der Pressekonferenz ein Grußwort. Die Einsätze werden von den Krankenkassen finanziert.MM/BEZ