Gedanken sollen Roboterarm steuern

von Redaktion

Spektakuläre OP im TUM Klinikum: Hirn-Computer-Schnittstelle für gelähmten Patienten

Michis Mehringers Buch „Seit dem Tag danach“ © privat

Mama Agnes half der Bericht in unserer Zeitung. © M. Schlaf

Michi Mehringer findet in seiner Familie großen Rückhalt, war auch Trauzeuge für seinen Bruder (re.). © Andreas Leder

Trotz Behinderung ist Michi voller Zuversicht. Seinen Rollstuhl kann er per Kinnsteuerung lenken. © privat

Training im Labor: Michi Mehringer mit Prof. Simon Jacob (rechts) und Mitarbeiter Göktug Alkan. Der 25-jährige Patient kann hier lernen, wie er einen Roboterarm per Gedanken bewegt. © Foto: Kathrin Czoppelt

München/Rosenheim – Genau 56 Mal wurde er bereits operiert. Michi Mehringer (25) ist nach einem Motorradunfall seit neun Jahren querschnittsgelähmt. Doch Aufgeben kommt für den jungen Mann aus Ginsham (Landkreis Rosenheim) nicht infrage. Und heute blickt er mehr denn je voller Zuversicht in die Zukunft: Denn seine letzte OP, ein bahnbrechender Eingriff am TUM Klinikum, kann Michi neue Unabhängigkeit und Lebensqualität bescheren. Das Ziel: Allein durch Gedanken soll er einen Computerarm steuern. Ein Projekt, über das seine Mutter in unserer Zeitung gelesen hat.

Am 23. April 2016, Michi ist 16 Jahre alt, war sein Leben innerhalb von Sekunden nicht mehr so wie zuvor. Mit seiner Yamaha MT 125 fährt er von Bruckmühl in Richtung Kirchdorf. Während er die Staatsstraße überquert, wird er von einem Mercedes erfasst. Als ihn Ersthelfer im Straßengraben finden, ist er beinahe tot: Das Rückgrat auseinandergerissen, Becken zertrümmert, Rippenfrakturen, mehrfach gebrochene Oberschenkel. Das Herz geprellt, der Kopf ausgehebelt., Halsmuskeln abgerissen, Schädelbasisbruch, Einblutungen.

■ 14 Monate in Klinik

Eine Stunde kämpfen Ärzte und Sanitäter am Unfallort um sein Leben. Ein Rettungshubschrauber fliegt ihn ins LMU Klinkum nach Großhadern, etliche Notoperationen können ihn retten. Zehn Tage liegt Michi im künstlichen Koma, sein linkes Bein muss amputiert werden, insgesamt 14 Monate Klinikaufenthalt folgen.

Nach seinen Unfall ist Michi querschnittsgelähmt. Seinen Rollstuhl aber kann er per Kinnsteuerung lenken, mit einer Mundmaus bedient er sein Tablet. „Nie aufgeben!“ ist sein Motto. „Ich möchte kein Opfer sein, sondern aktiv am Leben teilnehmen“, sagt Michi. „Mein Glück ist die große Unterstützung meiner Familie, meiner Verwandten und Freunde.“ Über seinen Weg zurück ins Leben hat er sogar ein Buch geschrieben. Titel: „Seit dem Tag danach – Hallo, ich bin immer noch der Michi.“

Durch die Hilfe seiner Familie wird dieses aktive Leben jetzt weiter aufgewertet: Im Dezember 2023 hatte seine Mutter Agnes in unserer Zeitung einen Artikel über eine neues Projekt am TUM Klinikum Rechts der Isar gelesen, bei dem Münchner Wissenschaftler einen Roboterarm entwickeln, der mittels Hirnimplantat gesteuert werden kann. Weil noch Testpersonen für die Studie „Künstliche Intelligenz für Neurodefizite“ gesucht wurden, wandte sich die Mutter ans Klinikum.

Mit Erfolg: Die Ärzte konnten Michi jetzt – erstmals in Europa – eine Hirn-Computer-Schnittstelle mit insgesamt 256 Mikroelektroden implantieren. „Wir haben mehr als fünf Stunden operiert, aber das liegt in der Natur dieses Eingriffs, weil man sehr genau sein muss“, erklärt Prof. Bernhard Meyer, Direktor der Neurochirurgischen Klinik. „Die größte Herausforderung bestand darin, die Elektroden sehr genau und ohne Drehmoment zu implantieren, damit man hinterher exakte Ableitungen bekommt, also Hirnsignale präzise messen kann.“ In den vergangenen zehn Jahren, so der Mediziner, „haben wir am TUM Klinikum die weltweit größte Serie von Mikroelektroden-Messungen im menschlichen Gehirn durchgeführt und damit einen Quantensprung in der Hirnforschung erreicht.“ Prof. Meyer und sein Spezialisten-Team führen mittlerweile jedes Jahr über 4500 Eingriffe an Gehirn, Schädel und Wirbelsäule durch.

Etwa 140 000 Menschen mit Querschnittslähmung leben in Deutschland. Am TUM Klinikum wird versucht, für sie Neues zu erreichen: „Unser Ziel ist es zu verstehen, wie das Gehirn funktioniert“, sagt Prof. Simon Jacob. „Nach Schlaganfällen, Hirntumoren oder bei Querschnittslähmung machen wir sehr viel Reha, die wahnsinnig wichtig ist. aber wir haben darüber hinaus bisher keine innovativen Behandlungen für die gestörte Kommunikation oder Bewegung anzubieten.“ Das wolle man ändern und „durch wieder mehr Selbstständigkeit auch die mentale Gesundheit Betroffener stärken“.

Nach dem erfolgreichen Eingriff beginnen jetzt die eigentlichen Forschungsarbeiten. Etwa zweimal die Woche treffen sich der 25-Jährige und die Wissenschaftler im Labor. Über einen Messkopf wird ein Computer an die Schnittstelle am Kopf angeschlossen. Das System extrahiert aus den übertragenen Signalen Nervenzellaktivität. Die Daten sind nötig, um KI-Algorhythmen so zu trainieren, dass sie den Zusammenhang zwischen den neuronalen Signalen und der Bewegung, die Michi ausführen will, erkennen.

Hier setzt das Team des Munich Institute for Robotics and Machine Intelligence (MIRMI) an: Zunächst sollen decodierte Hirnsignale genutzt werden, um einen Cursor auf einem Bildschirm und ein Mausklick-Signal zu kontrollieren. Dann kann Michi lernen, einen Roboter-Arm zu bewegen. „Anstatt von Menschen zu erwarten, sich anzupassen und den Umgang mit Robotersystemen zu erlernen, liegt unser Schwerpunkt darauf, Systeme zu entwickeln, die menschliche Absichten erkennen“, sagt Teamleiterin und Biomediziningenieurin Dr. Melissa Zavaglia.

Michi Mehringer freut sich: „Ich bin stolz, dass ich mithelfen darf, die Forschung voranzubringen und hoffe, dass ich dadurch wieder selbstständiger werde – dass ich einmal mithilfe eines hirngesteuerten Roboterarms wieder selbst greifen, essen und trinken kann.“MARTINA WILLIAMS

Studienteilnehmer gesucht

Für die Studie suchen die Wissenschaftler weiterhin junge Erwachsene aus dem Raum München mit hoher Querschnittslähmung. Interessierte können sich per E-Mail an aid-studie@mri.tum.de für weitere Infos wenden.

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