Wie lernt der Patient, Assistenzsysteme über Gedanken zu steuern? Das erklärt Prof. Simon Jacob, Professor für Translationale Neurotechnologie am TUM Klinikum, im Interview.
Welche Chancen eröffnen Hirn-Computer-Schnittstellen Menschen mit hoher Querschnittslähmung?
„Wir erhoffen uns für sie möglichst viel Teilhabe am normalen Leben. Gemeinsam mit unseren Studienteilnehmern wollen wir drei große Ziele erreichen. Das Erste: Die Patienten sollen wieder mit ihrer digitalen Umwelt interagieren, also ihr Smartphone, ihr Tablet und ihren Computer wieder steuern können. Das Zweite, was wir uns erhoffen, ist, dass sie wieder mit ihrer physikalischen Umwelt interagieren können. Wir entwickeln deshalb robotische Assistenzsysteme für die Nahrungsaufnahme und die Körperhygiene. Und das Dritte, ein langfristiges Ziel: Ich würde gerne mit unseren Patienten an Mobilität arbeiten. Es ist in der Zukunft denkbar, dass sie Körperbewegungen wieder selbst initiieren können.“
Wie kann man sich das Training im Labor vorstellen?
Der Patient kommt zwei- bis dreimal pro Woche zu uns ins neurophysiologische Labor. Nach der medizinischen Versorgung des Implantats schließen wir einen Messkopf an der Hirn-Computer-Schnittstelle an. Damit messen wir die Signale, die direkt an den Computer übertragen werden. Der Computer extrahiert hieraus Nervenzellaktivität. Anhand dieser können wir eine Künstliche Intelligenz trainieren. Während der Patient sich eine Bewegung vorstellt und sie nach Kräften ausführt, lernt die KI den Zusammenhang zwischen den neuronalen Signalen und der intendierten, auszuführenden Bewegung.
Wie trainiert Ihr Patient konkret, Geräte zu steuern?
Zunächst lernt er die Cursorkontrolle am Computer. Er hat ein Programm, in dem er einen Punkt auf einem Bildschirm sieht. Seine Aufgabe ist es, mit diesem Punkt zum Beispiel ein Schachbrett abzuscannen, um die KI zu trainieren. Wenn das gut funktioniert, wird er den Cursor in Sekundenschnelle auf jede beliebige Position schieben können – wie eine Computermaus. Später können wir ein zweites Signal einführen, etwa einen Mausklick als Eingabe, oder Tippen. Das ist das erste, schnell erreichbare Ziel. Da wäre ich überrascht, wenn das länger als ein paar Monate dauern würde. Das zweite Ziel wäre, den Roboterarm zu kontrollieren. Das wird möglicherweise ein Jahr brauchen. Dann können wir gemeinsam mit den TUM-Ingenieuren an Exoskeletten forschen. Exoskelette waren früher klobige Apparaturen. Inzwischen werden die Materialien und die Kraftübertragung besser, sodass wir fast von einem Anzug sprechen können.