Bio-Spritze für den Rücken

von Redaktion

Litt unter starken Schmerzen in der Halswirbelsäule: Patientin Anna Kaplun.

Natürliches Medikament: Dr. Samer Ismail zeigt ein Röhrchen mit plättchenreichem Plasma (PRP), das aus dem Blut des Patienten gewonnen und an die Wirbelsäule gespritzt wird. © Fotos: Jens Hartmann

Gründliche Diagnostik: Dr. Ismail erklärt seiner Patientin Anna Kaplun, wo genau er das Eigenblut injiziert. © Foto: Jens Hartmann

Haar – Er operierte wie am Fließband, nahm bis zu 500 Eingriffe an der Wirbelsäule pro Jahr vor, darunter teilweise bis zu zehn große Versteifungsoperationen pro Woche. Doch eines Tages erwischte es Dr. Samer Ismail selbst: „Bei einer OP an der Halswirbelsäule fuhr mit der Schmerz wie ein Blitz in den Rücken. Es tat höllisch weh. Ich musste mir vom Anästhesisten ein Medikament spritzen lassen, um überhaupt weiter operieren zu können“, erinnert sich der Neurochirurg. Die spätere Diagnose nach einer Magnetresonanztomografie (MRT): Bandscheibenvorfall in der Brustwirbelsäule (BWS). Eine OP in diesem Bereich gilt als heikel, weil die BWS schwer zu erreichen und die Gefahr einer Rückenmarksverletzung nicht unerheblich ist. Doch Ismail litt furchtbar, fürchtete bleibende Schäden.

Wie mancher seiner Patienten steckte der Neurochirurg plötzlich selbst in einem Dilemma: „Zwar verschwindet jeder Bandscheibenvorfall nach einigen Monaten auch von alleine. Aber wenn das ausgetretene Gewebe Nervenwurzeln massiv bedrängt, kann es sein, dass sich diese Strukturen nur schwer oder gar nicht mehr erholen. Das wollte ich nicht riskieren.“ Also suchte der Arzt nach einem Weg, den Stoffwechsel anzukurbeln, um den natürlichen Abbau des Gewebes zu beschleunigen. Er ließ sich von einem Kollegen Eigenblut spritzen – genauer gesagt plättchenreiches Plasma (PRP). „Dabei wird dem Patienten Blut abgenommen. Es kommt in eine Zentrifuge. Darin werden heilende Blutbestandteile herausgelöst, darunter wertvolle Wachstumsfaktoren. So entsteht ein Konzentrat, das direkt an die Wirbelsäule gespritzt wird – mithilfe von bildgebenden Verfahren wie Ultraschall, Röntgen oder Computertomografie“, erläutert Ismail.

Bei ihm halfen drei Injektionen enorm. Im Laufe der folgenden Monate wurde er seine Schmerzen und Bewegungseinschränkungen los – für Ismail ein Schlüsselerlebnis, das bereits Jahre zurückliegt. Seitdem hat er in seinem Wirbelsäulenzentrum in Haar (Landkreis München) bereits tausende Patienten mit Eigenblut behandelt. „Es bedarf allerdings viel Erfahrung und eines guten Gespürs, um das PRT exakt an die gewünschte Stelle zu spritzen.“ Der Rücken-Spezialist setzt es nicht nur bei Bandscheibenvorfällen, sondern beispielsweise auch bei Verschleiß der kleinen Wirbelgelenke oder bei chronischen Rückenschmerzen infolge von Versteifungsoperationen bzw. Fusionen ein. So nennt man größere Eingriffe, bei denen instabile Wirbelsäulenabschnitte mithilfe von Metallimplantaten stabilisiert werden. In der Folge können allerdings Probleme an den angrenzenden Bereichen, den sogenannten Nachbarsegmenten, entstehen.

Darunter litt auch Anna Kaplun. Vor Jahren ließ sie sich an der Halswirbelsäule versteifen, wurde aber ihre heftigen Dauer-Nackenschmerzen nie los. „Ich konnte nicht lange sitzen, fühlte mich oft benommen, lag immer wieder handlungsunfähig im Bett. Mein Alltag bestand nur noch aus Schmerzen. Es war eine schwere Zeit“, erzählt die 44-jährige Schmuckdesignerin. Sie suchte mehrere Ärzte auf, schluckte verschiedene Schmerzmittel – ohne durchschlagenden Erfolg. Auf Empfehlung ließ sie sich bei Dr. Ismail mit Eigenblut behandeln. Sie bekam vier Spritzen, seitdem geht es bergauf. „Ich kann wieder länger arbeiten, war sogar seit langer Zeit mal wieder im Urlaub und konnte ihn auch wirklich genießen.“

Die Behandlung erfordere allerdings Geduld, betont Dr. Ismail. „PRP ist kein Wundermittel. Man muss sich darauf einstellen, dass der Weg in die Schmerzfreiheit einige Monate dauern und auch mal holprig sein kann. Aber er führt sehr oft zum Erfolg.“ Es gebe auch Fälle, in denen eine Eigenblutbehandlung nicht die geeignete Therapie ist. „Manchmal kann eine OP sinnvoller sein“, so der Rücken-Spezialist. Er moniert eine gewisse „Entweder-oder-Mentalität“ in der Wirbelsäulenmedizin. „Manche Kollegen verteufeln jede OP, andere erklären konservative Therapien zum Allheilmittel. Beides halte ich für falsch. Jede Therapie hat ihre Berechtigung. Deshalb ist eine gründliche Diagnostik so wichtig.“

Die gesetzlichen Krankenkassen stimmen ihm nur bedingt zu, wenn es um PRP geht. Sie übernehmen die Kosten (noch) nicht, berufen sich dabei auf eine – ihrer Bewertung nach – nicht ausreichende Studienlage. In der Folge müssen die Patienten diese Behandlung selbst zahlen, bei Dr. Ismail werden 150 bis 500 Euro pro Spritze fällig. Viele Privatkassen verlangen einen Kostenvoranschlag. Trotzdem entscheiden sich immer mehr Patienten für PRP – auch deshalb, weil das körpereigene Medikament anders als Kortison keine Nebenwirkungen verursacht. Der Patient muss lediglich wie bei jeder Spritzenprozedur ein äußerst geringes Infektionsrisiko in Kauf nehmen. Deshalb glauben viele Orthopäden, dass sich alle Kassen beim Thema PRP bewegen sollten. Neurochirurg Ismail: „PRP wirkt, die Effekte sind auch messbar. Weitere Studien werden dies belegen.“

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