Das fahrrad feiert 200. Geburtstag

von Redaktion

von Magdalena Kratzer

Kreuth/Miesbach – Ein bisserl gewundert haben sie sich schon. Die Fußgänger an der Promenade am Tegernsee, als Franz Zehendmaier, 69 mit seinem weißen Rausche-Bart, dem Trachtenhut und seiner Lederhose dahergekommen ist. Was heißt gekommen: Gefahren ist er. Mit einem Dreirad. Aber keinem für Kinder. Sondern mit einem richtig alten Herrenrad. Vor 150 Jahren wurde es gebaut. Eines der ersten Radl mit Kettenantrieb. Gemächlich saß der Kreuther auf dem bequemen Sessel. Ähnlich wie in einer Kutsche. Nur, dass eben das Pferd vorne gefehlt hat. „Damit fahrt’s ses richtig guad“, sagt Zehendmaier und lacht. Das Gefährt stammt aus dem Keller des Tegernseer Klosters. Der Kfz-Meister und Zweiradmechaniker hat es wieder hergerichtet.

Fahrräder oder eben Radl, wie es in Bayern so schön heißt, sind Zehendmaiers große Leidenschaft. „Immer schon“, betont er. Als kleiner Bub ist er damit jeden Tag die zwei Kilometer in die Schule nach Kreuth gefahren. Später konnte er seine Passion zum Beruf machen. Seit bald 40 Jahren führt er ein Radsportgeschäft am Tegernsee.

Gleich neben seinem Geburtshaus steht seine Werkstatt. Und die ist voll mit Fahrrädern. Auf dem Boden stehen sie, in der Luft hängen sie. Es sind so viele, dass man die Werkbank in der Ecke nicht gleich erkennt. Die braucht Zehendmaier, um die Radl herzurichten, umzubauen oder sogar um ganz neue zu erfinden. „Mir foit immer wos Neis ei“, sagt er. Zum Beispiel spezielle Roller, mit denen auch Behinderte fahren können. Mit einem von ihnen ist er sogar den Kilimandscharo in Afrika runtergefahren. Derzeit arbeitet er sogar an einem Elektro-Kleinwagen.

Tüfteln. Das ist die zweite Leidenschaft von Franz Zehendmaier. Damit hat er wahrscheinlich vieles mit Karl Drais aus Karlsruhe gemeinsam. Vor genau 200 Jahren hat der das Fahrrad erfunden. Damals hieß es allerdings noch „Laufmaschine“ und bestand nicht aus Stahl, Aluminium oder Carbon, sondern aus Holz. Für Zehendmaier ist diese Erfindung ein Meilenstein in der Menschheitsgeschichte. „Genial“, sagt er. „Des war des erste Ding, wo de Leid schneller worden san – ohne Pferdl.“ Das erste selbstbewegte Fahrzeug. „Die erste Weltbewegung“, sagt er. Geht es nach ihm, sollten sich wieder mehr Menschen auf den Drahtesel schwingen. Der Vorteil? „Ja mei, frische Luft und Bewegung halt.“ Herrscht am Wochenende Dauerstau um den Tegernsee, weil die Münchner ins oder aus dem Tal fahren, radelt Zehendmaier an den Autos vorbei. Auf die Idee, an Tagen wie diesen in seinen Jeep zu steigen, würde er nie kommen.

Nur eines wünscht sich Franz Zehendmaier noch: mehr Radwege. Nach Angaben des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC) sind nur 44 Prozent der Bundesstraßen mit Radwegen ausgestattet. Vorreiter der Fahrradkultur sind vor allem die Niederlande. Der Radverkehrsanteil liegt dort bei 27 Prozent. Deutschland hinkt mit knapp zwölf Prozent hinterher. Das soll sich ändern. 130 Millionen Euro will der Bund in den nächsten Jahren in den Radverkehr investieren. 25 Millionen Euro sollen heuer für den Ausbau von Radschnellwegen – geteerte Wege ohne Kurven, Kreuzungen und Ampeln – fließen. Der ADFC hält diesen Betrag für positiv, aber „unterdimensioniert“. Für den Straßenausbau werden pro Jahr sechs Milliarden Euro ausgegeben.

Schnellwege für Radler fände auch Elisabeth Schwojer, 39, gut. Darauf fahren würde sie aber vermutlich nicht. Die hübsche Miesbacherin mit der blonden Mähne, die sie kunstvoll zu Zöpfen geflochten hat, zieht’s mit ihrem Bike eher auf die Gipfel. Im Sommer wie im Winter. Meist querfeldein. Immer dann, wenn sie nicht in „Elisabeths Platzerl“, ihrem kleinen Café im Herzen Miesbachs, arbeitet oder sich um ihre beiden Töchter kümmert, steigt sie in die Pedale. Manchmal steht sie schon um 4 Uhr morgens auf, um auf die Rotwand am Spitzingsee oder auf dem Leonhardstein in Kreuth zu radeln und den Sonnenaufgang zu genießen. Oder sie fährt nach der Arbeit spontan eine Tour. In ihrem Rucksack hat sie meistens eine Brotzeit. Mal sind es Weißwürste, mal ein Saibling oder Garnelen, die sie auf dem Berg auf ihrem Mini-Grill brutzelt. Den hat sie ebenfalls im Gepäck. Oben angekommen, steigt sie von ihrem Mountainbike und macht es sich gemütlich. Manchmal lässt sie sich dabei filmen. Videos, in denen sie mit ihrem Fatbike – ein Mountainbike mit extra breiten Reifen – auf die Gipfel stürmt und sich oben einen Steckerlfisch brät, bekommen auf Facebook und Instagram hunderte Likes. Mittlerweile ist sie damit auch über den Landkreis hinaus bekannt. Wenn die Miesbacherin mit ihrem Radl unterwegs ist, wird sie von Einheimischen oft angesprochen: „Lisi, wos host heid dabei?“, fragen sie.

Elisabeth Schwojer schätzt beim Radln die besonderen Momente. Die, in denen sie oben ankommt. Weit und breit ist dann niemand. Nur sie und der Ausblick in die Weite. Freilich, den gibt’s auch zu Fuß. „Das dauert mir aber zu lange“, sagt sie. Schon alleine fürs Runtergehen brauche man Ewigkeiten. Außerdem genießt sie den Fahrtwind, nach dem Bergauftreten.

Hin und wieder fährt sie auch mit dem E-Bike auf den Gipfel. Dann zum Beispiel, wenn sie mit ihrem Freund Vitus Wagenbauer unterwegs ist. Der ist nämlich Profibiker. „Dem komm ned amoi i hinterher“, sagt Schwojer und lacht. Sie hat kein Problem damit, das E-Bike zu nehmen. Auch wenn sie sich unterwegs von Bekannten oft anhören muss: „Waaaas? Du hast a E-Bike?“ Zweifler lässt sie damit ein paar Meter den Berg hinauffahren. „Dann merken sie, wie viel Spaß des macht.“

Noch vor ein paar Jahren sind E-Bikes belächelt worden. Mittlerweile haben sie sich etabliert – nicht nur bei Senioren. Dem Zweirad-Industrie-Verband zufolge wurden vergangenes Jahr alleine in Deutschland 605 000 E-Bikes verkauft. Die Miesbacherin findet das positiv. „Hauptsach’, die Leid bewegen sich.“

Mountainbiken hat für Elisabeth Schwojer auch einen spirituellen Aspekt. „Wenn ich in die Pedale trete, nehme ich außen nicht viel wahr“, sagt sie. Sie ist fokussiert. Auf ihren Puls, auf ihre Kraft. „Das sind ganz klare Momente.“ Dann bedankt sie sich beim Herrgott. Dafür, dass sie all das erleben darf. „Ich bin sehr gläubig“, betont sie. Zum Beten muss sie aber nicht in die Kirche gehen. Das macht die Naturbegeisterte oben, am Gipfelkreuz. Manchmal schickt sie auch ein kleines „Dankeschön“ hoch, wenn sie mit ihrem Radl den Berg hinuntersaust.

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