Eintauchen in sein Universum

von Redaktion

Das Museum der Moderne in Salzburg widmet William Kentridge die opulente Ausstellung „Thick Time“

Ein weißes Blatt Papier, ein Tässchen Espresso draufgeschüttet, heftig mit Kohle schraffiert, das Blatt wie beim Rorschachtest gefaltet und dann wieder geöffnet: Heraus kommt in dieser Szene aus „7 Fragmente für Georges Méliès, Tag für Nacht und Reise zum Mond“ – ein Bildnis William Kentridges. Humor ist eine tiefe Form von Klugheit und Humanität, und der 1955 in Johannesburg geborene südafrikanische Künstler hat sehr viel davon.

Deswegen widmet er sich nicht nur leidenschaftlich seiner Kunst, sondern reflektiert in ihr sie selbst und sich so, dass er uns in seinen Arbeitsprozess lustvoll hineinnimmt. Genauso wie seine Mitspieler, wie Musiker, Komponisten, Tänzer, wie den Espresso samt Schraubkännchen, wie die Bücher und die Kohle, die Tusche. In der Ausstellung „William Kentridge – Thick Time, Installationen und Inszenierungen“, die im Museum der Moderne Salzburg sowohl oben am Mönchsberg wie unten im Rupertinum zu erleben ist, kann man in das Universum des Künstlers eintauchen. Das wird erweitert durch eine Opernregie für die Festspiele. Dort hat Alban Bergs „Wozzeck“ am 8. August Premiere. Im Rupertinum, das vor allem das Opernschaffen Kentridges auffächert, ist denn auch ein Bühnenbildmodell – ein vielfach gebrochener Wozzeck-Lebensraum – und ein Film über die Proben zu sehen.

Diese umfangreiche Schau, die in der Whitechapel Gallery London sowie dem Louisiana Museum nördlich von Kopenhagen startete und noch an die Art Gallery Manchester geht, ist für Münchner absolut eine Reise wert. Denn unverständlicherweise haben es weder die Münchner Ausstellungs- noch die Opernhäuser bislang geschafft, Kentridges Œuvre bei uns umfassend zu präsentieren beziehungsweise ihn mit einer Inszenierung zu betrauen. Okwui Enwezor hat zwar 2013 mit Vater und Sohn Kentridge zum Thema Apartheid diskutiert; ein Zeichentrickfilm wurde gezeigt – das war’s dann. Zehn Jahre ist es her, dass wir in der Schauburg beim Figurentheaterfestival seine „Ubu Rex“-Variante „Ubu und die Wahrheitsfindungskommission“ (mit der Handspring Puppet Company) bejubelten und ein Jahr später Zeichnungen im Kunstverein sahen. Immerhin hat heuer das Dokfilmfest einen Beitrag zu Kentridges „Triumphs and Laments“ geboten. Insgesamt aber haben die Kulturverantwortlichen einen richtigen Kentridge-Coup für München schlicht verschlafen.

Dabei vermag der Südafrikaner ein großes Publikum anzusprechen – und bleibt dabei auf höchstem Niveau. Wer Zeichentrickfilme mag, wird bei ihm ein Erweckungserlebnis haben. Wer Musik liebt, wird mit ihm schräge und fetzige Mischungen genießen. Wer auf Experimente neugierig ist, freut sich über eine Melange wie die auf Spitze tanzende Afrikanerin, die eine chinesische Revolutionärin in einer maoistischen Modelloper vorstellt; oder er freut sich über ein „Zauberflöte“-Bühnenbild, das moderne Projektionen mit der Tradition der barocken Perspektivbühne und des Schinkel’schen Sternenhimmels für Tamino und Co. verbindet.

Museumschefin und Kuratorin Sabine Breitwieser hat die Präsentation gut aufgebaut. Im Mönchsberg-Haus kann der Besucher im Atrium neben der Kasse in zehn Zeichentrickfilmen (1989-2011) Kentridge kennenlernen. Man sollte sich unbedingt die Zeit nehmen und alle anschauen. Es lohnt sich. Wir sehen, wie Zeichnungen entstehen, sich verwandeln und vergehen. Musik und Laute sind zu hören, gesprochen wird nicht. Über die Jahre werden Geschichten erzählt: vom südafrikanischen Wirtschaftsmagnaten Soho Eckstein, der Land und Arbeiter auspresst und der sich damit selbst zerstört. Er verliert seine Frau, die ihre Liebe bei Felix Teitelbaum findet. Die politische und die private Variante von Herrschaft und Aufbegehren zieht sich bis heute durch Kentridges Arbeit und wird dem Betrachter in der Ausstellung, ob am Mönchsberg, ob im Rupertinum, immer wieder begegnen. Auch die Motive Fisch, schwarze Katze, die mal mit dem Firmenboss kuschelt, mal zur Anarchistenbombe wird und alles sprengt, die Dreiecksbeziehung, das steigende Wasser, die abgeschlagenen Köpfe, die Pfähle in der Johannesburg-Landschaft, Megafonschalltrichter und die Beziehungslinien, die der Zeichner naturgemäß besonders mag.

Kommt man schon bei den animierten Filmen aus dem Staunen über Kentridges Verwandlungs-Fantasie nicht heraus, wird man bei den Installationen davon umfangen. Zeichnung, die nie bleibt, wie sie ist, Schattenriss und Realfilm werden trotz mehrerer Projektionsflächen zur Einheit, weil sie als Kanon komponiert sind: Trotzki im türkischen Exil und eine surreale Liebesgeschichte („O, empfindsame Maschine“), die Zeit-Verwalter sowie -Zerstörer und eine Stummfilmgag-Liebesgeschichte („Die Ablehnung der Zeit“) oder in „Spiel süßer den Tod“ der lange Zug des Lebens mit Musik, Würdenträgern, tanzenden Außenseitern und mit all denen, die das Leben am Laufen halten, die sich vorwärtsschleppen, die Politiker auf dem Schauwagen ziehen und die Leichen, die Sinnbilder hochhalten, Kisten tragen, Kranke begleiten. So politisch, gebildet und kritisch Kentridges Arbeiten sind, so hoffnungsfroh erzählen sie. Eine Gaudi gibt es oft, eine Überraschung, eine Zärtlichkeit immer – und für uns Betrachter einen echten Hochgenuss.

Bis 5. November,

zur Festspielzeit bis 30.8. täglich 10-18 Uhr, sonst Di.-So. 10-18 Uhr; Eintritt: 8/ 6 Euro, Familien 12 Euro, die Fahrt mit dem Mönchsberglift ist beim Museumsbesuch ermäßigt; Infotelefon: 0043/ 662/ 84 22 20; der Katalog vom Münchner Hirmer Verlag ist durchaus bibliophil: 35 Euro.

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