Seit Längerem schon müssen sich die vor Libyen operierenden nicht-staatlichen Seenotretter Vorwürfe anhören, sie machten gemeinsame Sache mit afrikanischen Schleusern. Die italienische Regierung klagt, dass Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) wie „Ärzte ohne Grenzen“ ihre Schiffe bis in unmittelbare Küstennähe navigierten, dort ihre Lichter anschalteten und den bereits wartenden Schlepperbanden die Flüchtlinge abnähmen, um sie postwendend in italienische Häfen zu fahren. Die Kritik wäre leicht zu entkräften gewesen – wenn die Seenotretter, wie von Rom gewünscht, einen Verhaltenskodex akzeptiert hätten, der sie beispielsweise dazu verpflichtet hätte, Polizisten mit an Bord zu nehmen.
Den aber wollten die meisten NGOs nicht unterschreiben. Das legt den Verdacht nahe, dass manchen Rettern, unter ihnen viele Deutsche, die Bekämpfung von Menschenhandel und Schlepperunwesen nicht so sehr am Herzen liegt, wie es die Regierung mit Fug und Recht erwarten dürfte – immerhin ist es der italienische Staat, der mit den Folgen des Flüchtlingsansturms fertigwerden muss. Verständlich, dass sich die unter massivem Druck ihrer Bevölkerung stehende Regierung in Rom diese Verweigerungshaltung kaum gefallen lassen wird.
2400 Migranten sind Schätzungen zufolge alleine in diesem Jahr im Mittelmeer ertrunken. Ohne ihr Engagement, behaupten die NGOs, sähe die Bilanz noch schrecklicher aus. Doch diese Rechnung lässt außer Acht, dass erst die Aussicht auf (vermeintlich) sichere Rettung viele Menschen überhaupt dazu animiert, sich für ein paar tausend Dollar in die Hand krimineller Schleuser zu begeben und die lebensgefährliche Überfahrt nach Europa zu wagen. Wer nennt die Namen jener, die am Ende vergeblich auf das Rettungsversprechen der Seenothelfer vertrauten?
Georg Anastasiadis
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