Ein Verwandter als Vorgesetzter – das mag in einigen Familienbetrieben für Konflikte sorgen. Bei den Ancelottis aber funktioniert diese Konstellation anscheinend einwandfrei. Bei jedem seiner Arbeitgeber hat Carlo seinen Sohn Davide untergebracht. Auch heute noch, als Chef- und Assistenztrainer des FC Bayern, begrüßt sich das Gespann Tag ein Tag aus mit einem Küsschen. Was für die Öffentlichkeit freilich nie zu sehen ist, plauderte Ancelotti Junior dieser Tage in einer italienischen Zeitung aus. Und er erzählte noch weitere nette Anekdoten.
Weil er selbst „nie der Schnellste und nie der Dünnste“ war, stand Papa Carlo früher mit der Stoppuhr da, wenn der Bub sich den Pyjama anzog. Auf gut Deutsch: Er hat dem Filius mächtig Dampf gemacht. Eine Eigenschaft, die man vom dauerhaft tiefenentspannt wirkenden Coach in München nicht kennt. Aber eine, die angesichts der bislang aus sportlicher Sicht missratenen Vorbereitung nun gefragt ist. Denn mit einem Haufen hochtalentierter Spieler in die Saison zu gehen, ist kein Erfolgsrezept. Es bedarf eines Konzeptes, für das es die Spieler zu motivieren gilt. Eines, das es – die Bedeutungslosigkeit von Testspielen mal eingerechnet – im Moment beim FC Bayern nicht zu geben scheint.
Die fünf jüngsten Niederlagen haben sich in unterschiedlichen Kontexten ereignet, sie alle aber haben dieselben Schwachpunkte offenbart: Die fehlende Spielidee sorgt dafür, dass die Bayern erschreckend angreifbar geworden sind. Ein Ballverlust – und der Gegner hat beste Chancen. Eine robuste Abwehr vor sich – und Lust und Laune sind im Nu dahin. Auf eigene Stärken zu vertrauen, ist schwer, wenn man vergessen hat, wo diese eigentlich liegen. Auch, weil Stabilisatoren wie Philipp Lahm und Xabi Alonso weggefallen sind, wirken die Bayern so planlos wie lange nicht mehr.
Schon in der vergangenen Saison hörte man Kritiker tuscheln, Ancelotti habe das Erbe von Taktik-Fanatiker Pep Guardiola sukzessive und sorglos verpuffen lassen. Allerdings hat er das nicht zugunsten eines neuen, eigenen Systems getan. Er hat seine Stars einfach mal machen lassen und zu einem Titel geführt. Immerhin, sagen die einen. Nur, sagen die anderen. So oder so sollte Ancelotti seine zweite Spielzeit anders angehen. Zwar sieht sich der FC Bayern als Familie, aber: Es reicht nicht, ein paar Küsschen zu verteilen. Lieber mal die Stoppuhr umhängen! Nicht, um ins Bett zu gehen, sondern um aufzuwachen.