ARD-Reportage

Wie neugeboren?

von Redaktion

Katastrophenopfer erzählen bei „Gott und die Welt“, wie sich ein Leben nach dem Unglück anfühlt

von Astrid Kistner

Manchmal reicht ein lauter Knall, ein beißender Geruch, und alles ist wieder da: die Schreie, das Stöhnen, das Chaos. Thomas Staudinger ist beim schweren Zugunglück von Bad Aibling im Februar 2016 mit einer gebrochenen Nase und Prellungen davongekommen. Die schrecklichen Bilder aber haben sich in sein Gedächtnis eingebrannt. „Das Schlimmste ist zu wissen, dass da zwölf Menschen gestorben sind. Dass ich an denen vielleicht vorbeigelaufen bin“, sagt der 24-jährige Bayer in der ARD-Reportage „Mein neues Leben“. Er ist einer von drei Protagonisten, die in der Reihe „Gott und die Welt“ an diesem Sonntag (17.30 Uhr, ARD) erzählen, wie man mit einer Katastrophe fertig wird.

„Ich bin die ersten Nächte immer wieder aufgeschreckt, weil ich im Traum den Knall gehört habe“, sagt Staudinger, der mittlerweile wieder täglich mit dem Zug zur Arbeit nach München pendelt. Mit einer Traumatherapeutin hat er sich in sein altes Leben zurückgekämpft. Ohne Einschränkungen. „Das war mir wichtig“, sagt der junge Mann, der immer auf die Unterstützung seiner Familie zählen konnte. Genauso wie Claudia Rothmann-Kehler, die vor zehn Jahren einen Albtraum durch- und überlebte. Ihr Flugzeug zerschellte beim Landeanflug auf Phuket in Thailand. 90 Menschen starben beim Aufprall auf das Rollfeld. Die 35-Jährige kam mit dem Leben davon. Heute ist die Mutter zweier Kinder verheiratet. Mit der Familie ist sie nach Schweden ausgewandert. „Ein Schritt, den ich auch deshalb gewagt habe, weil ich gesehen habe, wie kurz das Leben sein kann.“ Sie wirkt gefestigt, stabil, und trotzdem merkt man Claudia Rothmann-Kehler an, dass die Verletzungen tief sitzen. „Die Katastrophe gehört zu meinem Leben“, sagt sie im Film. „So einen Flugzeugabsturz noch mal zu erleben, fände ich gar nicht so schlimm, aber das Überleben ist schwierig.“

Es sind Bilder, die sich nicht aus dem Gedächtnis verbannen lassen. Und häufig werden Katastrophenopfer auch von Schuldgefühlen heimgesucht. Warum die anderen? Warum nicht ich? Lothar Backes quälen sie auch 55 Jahre nach der schweren Bergwerksexplosion im saarländischen Luisenthal noch. 299 Kumpel starben, der heute 87-jährige Bergmann überlebte schwer traumatisiert. Therapieangebote gab es damals keine. „Ich dachte, ich kann allein mit allem fertigwerden. Aber das war ein Irrtum.“

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