Kein Land hat mehr unter Hitler-Deutschland gelitten als Polen, die Gräuel jener Zeit haben im Gen-Code unserer östlichen Nachbarn tiefe Spuren hinterlassen. Die jetzt – wieder einmal – angestoßene Debatte um Reparationsforderungen an Deutschland weckt deshalb bei vielen Polen auch über 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs noch starke Emotionen – und genau darum geht es dem Drahtzieher der aktuellen Kampagne, dem nationalkonservativen Jaroslaw Kaczynski. Der Zeitpunkt der Attacke in Richtung Berlin ist kein Zufall.
Die Regierung seiner PiS-Partei steht aktuell mächtig unter Druck. Nicht nur viele polnische Bürger sehen in den „Reformen“ Kaczynskis für Justiz und Gesellschaft einen Abbau demokratischer Standards. Auch aus Brüssel weht heftiger Gegenwind in Form eines Vertragsverletzungsverfahrens der EU in Richtung PiS. Doch nicht nur das. Die Weigerung der polnischen Regierung, ihren Anteil an der Flüchtlingsverteilung in Europa zu tragen, hat in vielen Hauptstädten Rufe laut werden lassen, Polen die EU-Finanzhilfen wegen unsolidarischen Verhaltens zu kürzen. Hinter all dem wittert Kaczynski Berliner Ränkespiele. Seine Reparationsforderung ist deshalb vor allem eines: ein Ablenkungsmanöver. Mit dieser Taktik folgt er einem Verhaltensmuster, wie es auch die Griechen – vergeblich – auf dem Höhepunkt der Schuldenkrise probiert haben. Für die Bundesregierung ist die Reparationsfrage mit dem „Zwei plus Vier-Vertrag“ rechtlich abgeschlossen, unter Völkerrechtlern ist die Frage umstritten. Berlin ist deshalb gut beraten, das sensible Thema mit kühlem Kopf zu behandeln.
Alexander Weber
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