Ein Blick ins Paradies

von Redaktion

Enrico de Paruta lässt 2020 Revue passieren und schaut auf das Münchner Weihnachtssingen 2021

In dieser Woche hätte die „Heilige Nacht“ traditionsgemäß die Weihnachtszeit eröffnet. Das beliebte Weihnachtssingspiel nach Ludwig Thoma wäre der Auftakt zur 26. Weihnachtstournee von und mit Enrico de Paruta gewesen. Nun ergeht es dem Münchner Moderator, Autor und Veranstalter wie den meisten Kulturschaffenden in Deutschland, denen Corona in diesem Jahr einen Strich durch die Planungen macht. Seine Vorstellungen im Dezember – insgesamt wären es 27 gewesen – mussten abgesagt werden. Hier schreibt er, wie er die Krise empfunden hat und was er Positives daraus zieht.

Sieben Tage sollten es dieses Jahr auf Mallorca nur werden, sieben Tage zur Erholung nach einer anstrengenden Weihnachtstournee 2019, ihrer Nachbearbeitung und der gleichzeitigen Vorplanung für die diesjährige Tour. Hals über Kopf flog ich am Freitag, dem 13. März, bereits nach München zurück. Spanien hatte einen Tag später den Alarmzustand ausgerufen, der mehr als drei Monate dauern sollte.

In München angekommen, besetzte ich noch die letzte vakante Rolle für unsere Inszenierung und kam gar nicht auf die Idee, dass unsere Bühnenproduktion neun Monate später durch das Virus gefährdet sein könnte. Das hatte sich schlagartig am 21. April mit der Absage des Oktoberfestes geändert. Was, wenn die Infektionszahlen weiter steigen? Welche Möglichkeiten haben wir, unser – in Aufwand und Besetzung einer Opernproduktion ähnliches – Weihnachtssingen Heilige Nacht überhaupt aufführen zu können? Wie probt man ein emotionales Weihnachtssingspiel, das nicht nur durch Ludwig Thomas Text und die Musik, sondern auch durch körperliche Nähe ausgedrückt wird? Allein das Finale hätte bei Wahrung des Mindestabstandes die Fläche eines Sportplatzes erfordert. Vom Zuschauerraum ganz zu schweigen. Durchschnittlich 20 Prozent Auslastung wären möglich gewesen – und das bei bereits ausverkauften Vorstellungen! Manche schlaflose Nacht bereiteten mir diese Probleme. Und heute, nachdem das Verbot von Großveranstaltungen bis zum Jahresende gilt und seit November die Veranstaltungsstätten geschlossen sind, endet das zermürbende Warten und Suchen, Verwerfen und Neuplanen.

Fast wäre eine Erleichterung zu spüren, wären da nicht tausende von Zuschauern, denen wir heuer keine Weihnachtsfreude bringen können, wären da nicht unsere Mitwirkenden, die eine schwere Zeit der Absagen durchleben mussten, wären da nicht tausende von Menschen, die teils mit schweren Verläufen an Covid-19 erkrankt oder gestorben sind und wären da nicht die vielen Menschen in medizinischen und pflegerischen Berufen, die Tag für Tag gegen das Virus ankämpfen und mit jedem Tag sich dem Risiko aussetzen, selbst infiziert zu werden! Wenn wir eines Tages genügend Abstand haben, werden wir erkennen, wer die wahren Helden dieser Tragödie sind.

Für mich ist es jeder, der sich in seinem Bereich einsetzt, dass das Virus keine Chance hat, sich weiter zu verbreiten. In Ludwig Thomas Weihnachtslegende „Heilige Nacht“ spielt der Handwerksbursch Hansei auf den ersten Blick nur eine kleine Nebenrolle. Er ist für mich jedoch seit vielen Jahren die tragende Figur des Stückes. Für seine Hilfsbereitschaft, mit Josef die hochschwangere, entkräftete Maria bis vor die Tore Bethlehems zu tragen, lässt ihn Gottvater als Belohnung ins Paradies schauen. Wie oft kam mir diese bayerisch-barocke Szene in den vergangenen Monaten in den Sinn, wenn es darum ging, dass in diesen bewegten Zeiten jeder Einzelne etwas für seinen Mitmenschen, für die Allgemeinheit tun kann.

Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir nächstes Jahr viele Dinge anders wahrnehmen und uns anders verhalten werden. Nach all dem, was wir 2020 durchgemacht und entbehrt haben, wird auch unsere Inszenierung anders wahrgenommen und noch inniger empfunden werden. Ich glaube, dass wir verschütt gegangene Werte wiederfinden, dass man sich rückbesinnen, bescheidener und dankbarer wird.

Die bevorstehende Advents- und Weihnachtszeit wird es uns lehren. Unter diesem Aspekt wird auch das Münchner Weihnachtssingen Heilige Nacht 2021 stehen oder – besser gesagt – empfunden werden. In Thomas „Heiliger Nacht“ steckt eh alles drin, was das wahre Weihnachtsfest und seinen Sinn ausmacht. Man muss es nur wiederentdecken. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine besinnliche Adventszeit mit Gesundheit und Zuversicht.

Ihr Enrico de Paruta

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